Das sagt die Bundespolizei

Fahrgast streckt Lokführer nieder

von Redaktion

Weil er im Rausch gern zuschlägt, muss ein Alkoholiker ins Gefängnis. Nach Bernau nimmt er den Zug. Auf der Fahrt trinkt er Wodka. Er prügelt auf Mitpassagiere ein, verletzt einen Lokführer schwer. Die Richterin schickt ihn nun auch auf Entzug in der Geschlossenen – und rüffelt die Bundespolizei.

Prien/Bernau – Im Mai 2018 sollte der Deutsche aus Russland (33) in der JVA Bernau eine mehrmonatige Haftstrafe antreten, weil er nicht zum ersten Mal zugeschlagen hatte. Zehn Vorverurteilungen sind Beleg seiner Gefährlichkeit, die sich stets im betrunkenen Zustand zeigt.

Schon bei der Abreise in Kempten, seinem Wohnort, begann er damit, Wodka in sich hinein zu schütten. Auf der nächsten Etappe, von München nach Rosenheim, fing er im Zug damit an, herumzuschreien und andere Passagiere zu belästigen.

In Rosenheim wurde er deshalb von Beamten der Bundespolizei in Empfang genommen und zum Meridian geführt, der nach Prien und Bernau weiterfuhr. Dort baten sie einen Lokführer der Bahn, der gerade nach Dienstschluss auf dem Weg nach Hause war, auf den Mann „ein Auge zu haben“ – weil der 33-Jährige zwecks Strafantritt in der JVA in Bernau aussteigen müsse.

Der Lokführer (27) aus dem Kreis Rosenheim übernahm bereitwillig die „ehrenamtliche Aufgabe“ und kümmerte sich, wo nötig, um den betrunkenen Passagier. Plötzlich, kurz vor Prien, drosch der Angeklagte ohne Vorwarnung seinem Begleiter mindestens einmal die Faust ins Gesicht. Der Bahnmitarbeiter stürzte wie vom Blitz getroffen zu Boden. Kaum bewegungsfähig gelang es ihm dennoch, per Notruf den Lokführer zu informieren. Der Kollege stoppte den Zug in Prien. Anderen Fahrgästen gelang es, den nach wie vor randalierenden Häftling in spe zu überwältigen. Der Mann wurde dann erneut der Polizei übergeben.

Faustschlag hatte schlimme Folgen

Vor Gericht gab sich der 33-Jährige niedergeschlagen und reumütig. Obwohl er sich, des Alkohols wegen, angeblich nicht mehr genau erinnern konnte, gab er freimütig zu, dass er das Tatopfer wohl geschlagen hat.

Besonders problematisch sind die Folgen dieser Fausthiebe. Nicht nur, dass die Nase des Lokführers mehrfach operiert werden musste. Er muss jetzt auch mit Sehbeeinträchtigungen leben. Das führt so weit, dass sogar das Ende des aktiven Bahndienstes droht.

Mit Blick auf den Täter bestätigte der Gutachter, Prof. Michael Soyka, dass es sich um „ausgesprochene Hangtaten“ handelt, die auf Jahrzehnte langen Alkoholmissbrauch zurückzuführen sind. Ohne eine Therapie in einer geschlossenen Anstalt hielt Soyka einen Rückfall in gleiches Tatverhalten für unausweichlich.

Die Anklage plädierte auf eine Haftstrafe von 23 Monaten, trotz der prinzipiell vorhandenen, aber wahrscheinlich unerfüllbaren Bereitschaft zur Zahlung von Schmerzensgeld. Eine Bewährungsstrafe komme bei diesem Vorstrafenregister ohnehin nicht in Frage.

„Unsachgemäßes Verhalten der Polizei“

Pflichtverteidigerin Heidi Pioch verwies darauf, dass ihr Mandant im Rahmen seiner Möglichkeiten zur Wiedergutmachung bereit sei. Außerdem sei ihm klar, dass nur die Therapie in einer geschlossenen Anstalt erfolgversprechend sei. Auch sie beantragte, ihrem Mandanten eine geschlossene Therapie nach Paragraf 64, Strafgesetzbuch, aufzuerlegen.

Die Vorsitzende Richterin Julia Haager legte sich im Urteil auf 19 Monate Haft fest. Ins Strafmaß einbezogen sind etliche kleinere Vorverurteilungen. Erfolgschancen sieht auch Haager nur mit einer Therapie in einer geschlossenen Anstalt.

Einen Rüffel von der Richterin bekam die Rosenheimer Bundespolizei. Haager beklagte das unsachgemäße Verhalten der Beamten. Diese hätten um die Problematik mit dem Betrunkenen – wegen der vorausgegangenen Vorfälle – wissen müssen. Dennoch hätten sie die Aufsicht einem völlig unbeteiligten und überforderten Bahnmitarbeiter überlassen, der diese falsche Einschätzung habe büßen müssen.

Die Bundespolizei erklärte auf Anfrage, dass diese Eskalation nicht vorhersehbar gewesen sei, das Opfer wartete ein Jahr vergeblich auf eine Entschuldigung (siehe Info-Elemente).

„Dem Zugführer sogar eine Zigarette angeboten“

Die Inspektion Rosenheim bedaure sehr, dass das Opfer die Verletzungen erlitten hat, betonte Bundespolizeisprecher Rainer Scharf auf Nachfrage der OVB-Heimatzeitungen. Doch das Recht auf Freiheit sei ein hohes Rechtsgut. Es einzuschränken, sei „an gesetzliche Voraussetzungen gebunden, deren Vorliegen Tatsachen erfordern“. Mutmaßungen und Spekulationen genügten hierfür nicht. Im konkreten Fall seien die Beamten zu dem Schluss gekommen, dass von dem Mann trotz seines offenkundig alkoholisierten Zustands keine Gefahr für die Allgemeinheit ausgeht.

Die Verbindungsaufnahme zum zufällig angetroffenen Bahnmitarbeiter, der nach Arbeitsende von Rosenheim aus mit dem Zug in Richtung Bernau fuhr, sollte – möglichst unbürokratisch – dazu beitragen, dass der 33-Jährige den Ausstieg nicht verpasst. Scharf: „Für die Beamten war nicht absehbar, dass es zu einer Eskalation kommen würde.“ Der Mann sei zwar zunächst durch lautstarkes Verhalten am Bahnsteig aufgefallen. Nach der Kontrolle durch die Polizei habe er sich aber ihnen gegenüber ruhig und kooperativ verhalten – „auch gegenüber dem Bahnangestellten, dem er sogar eine Zigarette anbot, war er freundlich gestimmt.“ Es habe keine Anzeichen dafür gegeben, dass er derart ausrasten könnte. „Hätte es diese Anzeichen gegeben, hätten die Beamten die Situation anders eingeschätzt und auch anders entschieden“, so Scharf.

„Niemand hat sich entschuldigt“

„Auch aus meiner Sicht machte der Mann einen ruhigen Eindruck. Das mit der Zigarette stimmt“, sagt das Opfer (27) im Gespräch mit dem OVB. Doch ihm sei verschwiegen worden, dass der sichtlich betrunkene Fahrgast zuvor von mehreren Polizisten aus einem Zug geholt worden war, weil er rumgebrüllt, gepöbelt, gegen Türen getreten und am Bahnhof uriniert habe. Dass es sich um einen Gewalttäter handelte, habe er ebenfalls nicht gewusst, sagt der junge Lokführer, dem die psychischen Folgen des brutalen Faustschlags ein Jahr danach immer noch zu schaffen machen. Weil sich in diesem langen Zeitraum weder die Polizei noch sonst eine Behörde nach seinem Zustand erkundigt habe, reicht der 27-Jährige jetzt Dienstaufsichtsbeschwerde ein: „Etwas Mitgefühl, ein Dankeschön oder eine Entschuldigung wären das Mindeste gewesen.“ Zudem soll die Beschwerde bewirken, dass Bahnkollegen eine ähnliche Situation erspart bleibt.

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