Walter Schlosser
Rosenheim/Kolbermoor/Wasserburg – Der K.o. hatte sich angekündigt. Woran letztendlich der Fall der SPD ins Bodenlose bei der Europawahl und das desolate Abschneiden in Bremen herrührt, darüber haben Parteigenossen ihre eigene Theorie.
Die Katastrophe – weshalb, warum?
„Wenn ich das sagen könnte, säße ich in Berlin“, sagt Peter Kloo, Bürgermeister von Kolbermoor. Doch da will er nicht hin. „Ich bin sachorientiert und kein Politiker“, begründet er, gibt aber damit auch Spielraum für Kritik an Parteipolitik. Demnach wird einerseits zu viel um den heißen Brei herumgeredet; andererseits wird das Leben jedes Einzelnen zunehmend komplexer. Kloos Beispiel: Ein Mann will eine Garage bauen, nötig sind Bebauungsplan, Flächennutzungsplan, ein Haufen Paragrafen und so weiter. „Der Mann verzweifelt, er will doch nur sein Auto unterstellen.“ Oder die Rentenpolitik: Dazu braucht es ausführliche Darstellungen. „Ein Blatt aber titelte ,Rentnerin verhungert‘. Das erklärt dann angeblich Rentenpolitik.“
Quelle des Übels
ist die GroKo
Das Schwarz-Weiß-Malen nehme überhand. Deshalb plädiert Kloo dafür, dass alle Parteien in die Verantwortung genommen werden. Dann könnten diese Parteien nicht alles Mögliche versprechen, ohne Rechenschaft ablegen zu müssen. Warum ausgerechnet hier in der Region, wo es den Menschen gut geht, die Wähler die Grünen bevorzugten, ist Kloo schleierhaft. Lag´s am verpennten Thema Klimaschutz? „Das hat die SPD nicht verschlafen. Sie geht es viel zu kompliziert an. Die Grünen können das besser verkaufen.“ Zu zögerlich, zu zaudernd – das ist Kloos Fazit zum Agieren der Partei. So stehe sie auch entgegen der Realität in der Großen Koalition (GroKo) immer wieder schlecht da.
Diese Einschätzung teilt Elisabeth Jordan. Die Vorsitzende des SPD-Unterbezirks Rosenheim Stadt sieht zwei Hauptprobleme, begründet in der GroKo. Demnach gehen SPD-Erfolge unter, weil die Partei sie nicht gut verkauft und die Union die Kanzlerin stellt. Automatisch schrieben Bürger dann Angela Merkel und damit der Union den Verdienst zu.
Anfangs unterstützte Jordan den Eintritt der SPD in die GroKo, längst ist sie davon abgerückt. Dazu trage auch die Position von Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles bei. Jordan sieht die Ämterzusammenführung zunehmend heikel.
Auf den Putz hauen kann Nahles nicht
Argument: Nahles als Fraktionschefin kann als Teil der Regierung nicht so scharf agieren, als wenn sie ausschließlich Parteichefin wäre. Jordans Forderung: Das Erste aufgeben, das andere belassen – „obgleich Andrea Nahles unbeliebt an der Basis ist. Das erfahren wir immer wieder an unseren Info-Ständen oder durch E-Mails“. Mit der Ämtertrennung gewinne die SPD wieder Kontur, meint Jordan.
Nahles selbst lehnte gestern generell einen Rücktritt ab. Damit sei es auch nicht getan, sagt Bürgermeister Michael Kölbl (Stadt Wasserburg). Denn: Es brauche personelle Alternativen, Themen und ein Programm. Für das katastrophale Abschneiden der SPD nennt der Bürgermeister drei Gründe: Ein längerer Prozess, in dem sich Kanzlerin Merkel sozialdemokratisiert habe. Der Umweltschutz/Klimaschutz als überlagerndes Thema, das sich durch die Friday For Future-Bewegung extrem auswirke. Zudem gebe es kaum noch Parteienbindung. „Ein verändertes gesellschaftliches Verhalten, das auch Vereine zunehmend feststellen“, sagt Kölbl. Junge Menschen binden sich demnach nicht auf Jahre hinaus, sondern jeweils nur für eine einzelne Aktion, für ein Vorhaben oder ein aktuelles Thema. So erklärt sich Kölbl auch den Erfolg der Grünen bei der Europawahl. Ist der freie Fall der SPD nun ein Abgesang? Nein, sagt der Wasserburger Bürgermeister: „Die Volksparteien sind ein Stabilitätsfaktor für die Demokratie und unverzichtbar.“
Gegen Schnellschüsse in Personalfragen oder Entscheidungen in der GroKo hatte sich noch am Wahlabend die SPD-Europaabgeordnete Maria Noichl ausgesprochen. Im Herbst werde ohnehin Bilanz gezogen. Daran sollten alle festhalten, sagte sie. Sie deutete ein Mitverschulden der Groko an: „Das ist eine Zwangs-Koalition, die nur deshalb zustande gekommen ist, weil die Gelben zu feige waren und wir uns in der Pflicht sahen.“