Rosenheim/Mühldorf/Traunstein – Das Töten männlicher Küken bleibt zunächst rechtmäßig. Bis zur Einführung alternativer Verfahren dürften Brutbetriebe weiter so vorgehen, urteilte gestern das Bundesverwaltungsgericht. Geflügelproduzenten töten jedes Jahr rund 45 Millionen Hähnchen – weil die männlichen Küken der Hochleistungshennen für die Industrie wertlos sind. Da spielt die Stiftung Attl, auf deren Hof rund 800 Hühner leben, nicht mehr mit. Weg vom Turbo-Huhn, hin zur „Domäne Silber“, hieß es dort vor zwei Jahren. Und aus den piepsenden männlichen Flauschbällen dürfen seitdem Gockel werden.
Abkehr von den Hybrid-Hennen
„Wir haben uns einer nachhaltigen, ökologischen Landwirtschaft verpflichtet“, sagt Hermann Kühn, stellvertretender Leiter des Attler Hofs, ein Integrationsbetrieb, bei dem auch Betreute der Stiftung Attl einen Arbeitsplatz finden. „Für uns ist es nur konsequent, dass wir von den Hybrid-Hennen weg sind.“ Im Sommer 2017 ist ein Hühnerstall freigeworden, den 400 neue Tiere bezogen, die nächsten 400 folgten ein Jahr später.
Bruder-Gockel
relativ schlank
Weil der Bruder-Gockel im Vergleich zu herkömmlichen Masthähnchen relativ schlank ist, ermöglicht erst der Eierverkauf seiner Schwestern seine Haltung. Aufgezogen, verarbeitet und vermarktet werden die Bruder-Gockel der Attler Hennen in einer eigenen Mast auf dem Bio-Geflügelhof Schubert in Igensdorf bei Forchheim. Die jungen Gockel haben dort mehr Zeit zum Wachsen: Statt 30 Tagen können die Bruder-Gockel vier bis fünf Monate lang Muskeln aufbauen.
Das Fleisch dieser Tiere ist entsprechend fester und magerer als das herkömmlicher Hähnchen. „Und es schmeckt viel besser“, sagt Angela Kühn, die mit ihrem Mann in der fünften Generation einen Nebenerwerbsbetrieb in Wasserburg führt und dort selbst Bruderhähnchen großzieht – solange, bis sie „einen schönen Braten“ geben.
So viel Zeit investieren die großen Mastbetriebe, die vor allem in Niedersachsen, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen zu finden sind, definitiv nicht. Dort werden die Hähnchen nach etwa 30 Tagen Turbomast geschlachtet. Und die Betriebe werden immer größer. Bei Mastgeflügel wurden allein zwischen 2010 und 2013 die Stallkapazitäten um 37 Prozent ausgeweitet. In Niedersachsen sogar um über 70 Prozent. Das erbrachte eine Studie des Thünen-Instituts von 2016.
Ulrich Niederschweiberer, der Obmann des Bayerischen Bauernverbands (BBV) im Landkreis Mühldorf, ist ganz froh, dass es in seiner Umgebung keinen entsprechenden Betrieb gibt, denn „als Landwirt kann ich über das Schreddern von Tieren nicht glücklich sein.“ Den jetzt von Richterin Renate Philipp vorgegebenen Weg findet er gangbar: „Erst mit Hochdruck eine Lösung suchen und dann eine Frist setzen. Sonst ist es meist anders herum.“ Er stehe voll dahinter, dass sich etwas ändern muss und „ich hoffe auf eine baldige Lösung.“
Auf die hofft auch Andrea Thomas, die Vorsitzende des Rosenheimer Tierschutzvereins. Denn diese Übergangslösung „ist für den Tierschutz ethisch nicht vertretbar. Und ich denke, dass auch die Mehrheit der Gesellschaft dies nicht akzeptiert.“ Der Weisheit letzter Schluss ist für die Tierschützerin auch die Geschlechtsbestimmung im Ei nicht. „Wir müssen andere Wege der Zucht finden.“
Neue Hühnersorte
auf dem Hof
Und einen Weg weg vom Turbo-Spezialisten-Huhn. Findet jedenfalls der Nebenerwerbslandwirt Kühn. Er hat auf seinem Hof schon im letzten Herbst eine neue Hühnersorte einquartiert. „Sandy“ kommt aus Österreich und ist ein Bio-Zweinutzungs-Huhn. Die Mädels legen zuverlässig cremefarbene, gut zu verkaufende Eier. Und liefern irgendwann eine leckere Hühnersuppe. Die Brüder kommen gar nicht nach Oberbayern, die bleiben in Österreich, werden da aufgezogen. Zum Grillhendl taugen sie nur bedingt, sie setzen zu wenig Fleisch an. Aber: Das magere, muskulöse Fleisch wird zu Wurst verarbeitet. Kreislauf geschlossen.
Ein Konzept, das auch bei der Stiftung Attl und deren Leiterin des grünen Bereichs, Ulrike Elsässer, auf Zustimmung stieß. Dort ziehen in den einen Hühnerstall demnächst lauter Sandys ein. Wobei – die heißen nicht lange alle Sandy: Steffi und ihre Mitbewohner, die Hühnereltern, finden bestimmt auch individuelle Namen.