„Momentan sieht es gut aus“

von Redaktion

Professor Riccardo Giunta spricht nach dramatischem Badeunfall mit OVB-Redaktion

Raubling – Das Schicksal des 13-jährigen Buben, dem bei einem schweren Badeunfall am Hochstraßer See ein Arm abgerissen wurde (wir berichteten), bewegt die gesamte Region. Die OVB-Heimatzeitungen sprachen mit Professor Dr. Riccardo Giunta, der zum Team der Ärzte gehörte, die in einer zehnstündigen Operation den Arm des Kindes replantiert haben.

Wie kann es passieren, dass ein Körperteil abreißt?

Das ist bei sehr ruckartigen Bewegungen möglich. Wir gehen davon aus, dass der Bub das Seil um seinen Unterarm gewickelt hatte, um sich rauszuschwingen. Er hat losgelassen, aber das Seil hat sich wohl nicht gelöst. Vermutlich handelte es sich um ein altes, schlecht rutschendes Seil. Durch das eigene Körpergewicht des Kindes ist es dann zu dieser schweren Verletzung gekommen. Der Unterarm ist kurz unterhalb des Ellbogengelenkes abgetrennt worden.

Wie häufig kommt so etwas vor?

Das ist relativ selten. Natürlich haben wir es im Hand-Trauma-Zentrum öfter mit abgetrennten Körperteilen zu tun, aber diese Verletzungen sind meist durch landwirtschaftliche oder industrielle Maschinen verursacht.

Wovon hängt es ab, ob ein Körperteil wieder angenäht werden kann?

Vorrangig ist immer, das Leben des Patienten zu retten. Bei einer schweren Schädelhirnverletzung wären andere Maßnahmen wichtiger. Im Fall des 13-Jährigen handelte es sich aber um eine isolierte Verletzung. Damit ein Körperteil gerettet werden kann, muss die Zeitspanne zwischen Abtrennung und Wiederanschluss der Blutgefäße möglichst kurz sein. Die Grenze liegt zwischen sechs bis acht Stunden. Danach ist eine Replantation nicht mehr erfolgreich.

Wäre der 13-Jährige ohne schnelle Hilfe verblutet?

Ja, weil ja zwei dicke Unterarmarterien abgerissen waren. Die Ersthelfer haben sofort richtig reagiert und einen Kompressionsverband am Amputationsstumpf angelegt. Einer hat den amputierten Arm aus dem See geholt, was für einen Laien eine mutige Leistung ist. Beides war für das Kind enorm wichtig.

Der Bub wurde ins Haunerische Kinderspital nach München gebracht. Wie viele Spezialisten waren für die OP nötig?

Die Ärzte der Kinderklinik haben uns Spezialisten hinzugezogen, weil klar war, dass unter dem Mikroskop operiert werden muss. Der 13-Jährige wurde im Schockraum der Klinik erstversorgt, der Arm wurde in dieser Zeit schon für die OP vorbereitet. Das Team war sehr groß. Allein von unserer Abteilung der Handchirurgie und Plastischen Chirurgie waren sechs Ärzte beteiligt. Hinzu kamen ein Kinderchirurg, ein Unfallchirurg, das Team der Anästhesie sowie unsere für mikrochirurgische Eingriffe geschulten OP-Pflegekräfte. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit ist die Stärke des Klinikums der LMU.

Wie sind Sie bei der Operation vorgegangen?

Zuerst müssen die Knochen stabilisiert werden. Sonst würde alles, was man unter dem Mikroskop näht, wieder reißen. Im Fall des Buben gab es durch Überdehnung der Gefäße und Nerven schwere Weichteilschäden, sodass wir den Arm verkürzen mussten. Nur so konnten wir anschließend Gefäße, Nerven, Muskeln und Haut nähen. Wenn die Knochen verschraubt sind, muss man als erstes den Blutstrom wiederherstellen. Dann werden die Nerven, Sehnen und die Muskulatur genäht und der Hautmantel verschlossen.

Muss der abgetrennte Arm während der OP gekühlt werden?

Nein, während der OP geht das nicht. Aber generell ist es sehr wichtig, dass das nach dem Unfall sofort passiert. Ein Amputat sollte schon von den Ersthelfern in sterile Kompressen gepackt werden. Die wiederum sollte man in eine Tüte mit Eis und Wasser legen. Ideal sind vier Grad Wassertemperatur. Leider wird das oft falsch gemacht. Die Ersthelfer meinen es gut und legen ein Amputat direkt auf Eis oder Kühlpads. Dann kommt es leider gelegentlich zu Gefrierschäden, was den Erfolg der Operation wesentlich beeinträchtigen kann.

Was war der schwierigste Teil der Operation?

Schwierig ist zunächst die strategische Entscheidung, ob der Arm verkürzt wird. In diesem Fall gab es keine Alternative. Alles, was durch die Verletzung zerstört wurde, musste entfernt werden, sonst hätte sich der Arm entzündet. Man kann den Arm später wieder verlängern, zunächst ging es aber darum, ihn zu retten. Der technisch schwierigste Teil war die Wiederherstellung der Nerven und Gefäße unter dem Mikroskop. Das ist aufwendig und erfordert viel Erfahrung.

Wie entscheidend ist die Art und Weise, wie ein Körperteil abgetrennt wird?

Sehr entscheidend. Aus medizinischer Sicht ist es am einfachsten, wenn eine glatte Amputation vorliegt, zum Beispiel mit einem scharfen Messer. Bei einer Verletzung durch eine Kreissäge wird es schon deutlich schwieriger. Ausrissverletzungen sind die schwerste Variante. Denn durch die enorme Kraft kommt es vor dem Abriss zu einer Überdehnung der Gefäße und Nerven. Komplizierter wird es nur noch bei Verletzungen durch Druckerpressen oder Häckselmaschinen – aber dann kommt die Mikrochirurgie auch an die Grenzen des Möglichen.

Wie sind die Aussichten, dass der Bub den Arm behalten kann?

Momentan sieht es gut aus. Der Arm wird gut durchblutet, er ist schön rosig. Aber bei allen mikrochirurgischen Operationen kann es in den ersten Tagen zu Durchblutungsstörungen kommen. Wenn der Blutstrom nicht dauerhaft wiederhergestellt werden kann, stirbt der Arm ab. Dann müsste er im schlimmsten Fall wieder amputiert werden. Eine Replantation ist aber immer ein besseres Ergebnis als eine Prothese. Es ist der eigene Arm. Außerdem hat er im Gegensatz zu Prothesen Sensibilität, was für das Greifen sehr bedeutend ist. Auch bei Prothesen gibt es enorme technische Weiterentwicklungen.

Die nächsten Tage sind nun also entscheidend?

Absolut. Der Bub ist auf der Intensivstation. Der Arm wird kontinuierlich überwacht. Der Sauerstoffgehalt in der Hand wird gemessen. Wenn Durchblutungsprobleme auftreten, müsste das Kind eventuell noch einmal operiert werden.

Was fühlt man nach so einer zehnstündigen OP als Chirurg?

Natürlich freut man sich, wenn man einen rechte Arm retten kann – ganz besonders bei einem Kind. Der Bub hat vielleicht noch 60, 70 Lebensjahre vor sich. Uns ist mit der OP eine wesentliche Verbesserung seiner Lebensqualität gelungen. Das war eine tolle Team-Leistung. In solchen Momenten weiß ich, warum ich Handchirurg geworden bin.

Interview: Katrin Woitsch

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