Landkreis Rosenheim – Die Union macht nicht nur durch ihre CSYOU-Videos Furore im Netz, auch durch eine Stellenanzeige der CDU Hamburg – selbstironisch, jugendlich forsch gemeint: „Wer sich mit diesem Internet auskennt, sollte sich bei uns bewerben.
Wer den Job kriegt, darf dann auch das berühmte Amthor-Video sehen. Mehr unter cdu.de/jobs #Neuland“, heißt es da (Phillipp Amthor, CDU, hatte ein Video als Antwort auf Rezos Anti-CDU-Video aufgenommen, das die CDU aber nie publik gemacht hat). Und die Reaktion auf die Stellenanzeige? Von peinlich bis blamabel.
Muss ein Video polarisieren?
Frage also an Daniel Artmann, Rosenheimer Stadtrat sowie Ortsvorsitzender der CSU Rosenheim und Bezirksvorsitzender der Jungen Union Oberbayern: Muss ein Video so polarisieren, um wahrgenommen zu werden? Und: Hilft Selbstironie wie bei der Stellenanzeige der Hamburger CDU, um jugendliche Frische auszustrahlen?
Politik auf
neuer Plattform
„Die CSU ist die erste Partei, welche die Youtube-Szene direkt anspricht und eine Plattform bearbeitet, welche bis jetzt nicht bespielt wurde. Das Format entspricht der Zeit: modernes Auftreten, schneller Schnitt! Und vor allem: Der Armin (im Youtube der Moderator, die Redaktion) ist einer von uns aus der Jungen Union/CSU, und er präsentiert unsere Politik in einem neuen Format“, sagt Artmann.
Hier sei niemand gecastet worden. „Der erste Aufschlag hat schon mal für viel Aufsehen und Gesprächsstoff gesorgt.“ Das spreche also für das Video. Unabhängig davon, was man gemacht hätte, wäre auf jeden Fall Kritik aus der linken Ecke gekommen. Zudem sei die Zielgruppe eben nicht Stammtisch, Bierzelt oder Medien-Redaktion. „Das Format wird alle zwei Wochen laufen, und ich bin schon auf das nächste Video gespannt“, verrät der 31-Jährige.
Soziale Netzwerke als moderneRattenfänger
Das Interesse an herkömmlichen Wahlkampfmitteln (Plakatieren, Info-Veranstaltungen) wird immer weniger. Diesen Eindruck gewinnt Alexandra Burgmaier, Vorsitzende des SPD-Unterbezirks Rosenheim-Land, zunehmend. Die Online-Ansprache würde unter bestimmten Umständen besser wahrgenommen. „Meist nur, wenn Stil und Inhalt sehr polarisierend sind“, sagt sie. Sind daher die sozialen Netzwerke die modernen „Rattenfänger von Hameln?“.
Dieser Methodik bedienen sich Burgmaier zufolge durchaus Parteien. Sie persönlich halte davon aber wenig, vor allem auf kommunaler Ebene. „Nicht immer ist das Produkt das Beste, hinter dem das größte Werbe- oder Social-Media-Budget steckt. Gerade bei den Kommunalwahlen gibt es genügend Möglichkeiten, Kandidaten live und unverfälscht persönlich zu erleben.“ Der Preis einer Polarisierung sei hoch, die Gefahr in die Lächerlichkeit, Unglaubwürdigkeit oder falsche Richtung zu driften, sehr groß.
Auf welches Zugpferd setzt die SPD im Kommunalwahlkampf 2020? Für eine Einschätzung der Kandidaten solle nicht der coolste Spruch oder der provokativste (Online-)Auftritt zählen, so Burgmaier, sondern die jeweilige Persönlichkeit mit ihrem Lebensweg, ihrer Erfahrung, Einstellung, Taten und Zielen. Das erfordere mehr Mühe vom Wähler, als nur nach einigen Sprüchen oder dem Partei- oder Gruppierungsschild zu wählen. „Aber ich finde, dieser kleine Aufwand würde sich bei jeder Wahl mehr als rentieren.“
Christine Degenhart (Freie Wähler, FW) kam gerade von Gesprächen mit ihrer Medienagentur. „Wir sind zurzeit mit einem Entwicklungskonzept befasst, grob muss es in den nächsten Tagen für die Kommunalwahl 2020 stehen.“ In welche Richtung wird es gehen? Progressiv per Video in den sozialen Netzwerken werben, sozusagen als „Abklatsch“ des Webvideos („Die Zerstörung der CDU“) von Influencer Rezo, wie die CSU es als „CSYOU“ im Web versucht? Dafür erntet sie bisher eher Spott und Häme als positive Reaktionen. Unter den mehr als 890000 Klicks zeigten 185000 User einen „Daumen runter“ für das CSYOU-Video (mit flotten Sprüchen, Geräuscheffekten und Sprechblasen). Nur etwa 4500 User reagierten positiv.
„Eigene Ideen umzusetzen halte ich für die zielführendere Variante. Wir werden uns alle auf einen anderen Umgang mit Sprache sowie auditiven und sensorischen Signalen einstellen müssen. Das heißt, wir müssen auf alle Wahrnehmungsmethoden der Menschen eingehen“, schätzt Degenhart das künftige Vorgehen für Partei und Politik ein.
Was unterscheidet die Wahlkämpfe 2014 und 2018/19 voneinander und welche Aspekte muss ein Wahlkampf 2020 aufnehmen?
(Un-)verzichtbar?
Das klassische Plakat
Letzterer sollte Degenhart zufolge durchaus Aspekte aus einem herkömmlichen Procedere haben, so wie er auch 2014 geführt wurde. Konkret: „Am klassischen Plakat kommt keiner vorbei.“ Denn: Jeder, der mobil sei, passiere das Plakat, und wer auch immer fixiert auf sein Handy sei, schaue einmal auf und werde mit der Aussage des Plakates konfrontiert. Multimedial sei bereits der Landtags- (2018) sowie der EuropaWahlkampf (2019) gewesen, etwa durch die Nutzung von Facebook. Und schon 2014 habe sie den Straßenwahlkampf mit kleinen Videos auf ihrer Homepage ergänzt. Persönliche Präsenz und Präsenz in den sozialen Netzwerken bekommen laut Degenhart im Wahlkampf 2020 noch mehr Gewicht. Ihr Argument: In einer flächenmäßig kleinen, kreisfreien Stadt wie Rosenheim sei der persönliche Auftritt unschlagbar. Dennoch seien trendige Entwicklungen nicht zu vernachlässigen. Auch Giveaways (Werbeartikel) als Türöffner für den persönlichen Dialog mit dem Wähler müssten in eine Gesamt-Performance eingehen.
Steffi König, Vorstandssprecherin beim Kreisverband Rosenheim und Ortsvorsitzende von Wasserburg bei Bündnis 90/Die Grünen, sieht in sozialen Medien ein probates Mittel, viele Menschen zu erreichen. Gute Erfahrungen macht der Verband seit Jahren mit Facebook, Twitter und neuerdings Instagram – dem bei jungen Erwachsenen mittlerweile beliebtesten sozialen Netzwerk.
Bei der letzten Kommunalwahl setzte der Wasserburger Ortsverband auf Interview-Videos mit seinen Kandidaten – bei Youtube. „Wir haben keinen professionellen Videobearbeiter. Wir sind ein kleiner Kreisverband mit rund 380 Mitgliedern.“ Da helfe ein Netz-Auftritt. In diese Kerbe haute bereits die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bayerischen Landtag, Katharina Schulze, als sie eine Whatsapp-Gruppe für jeden einrichtete, der „die neuesten Infos haben wollte“, so König.
Dies habe sich als attraktiver herausgestellt als ein purer E-Mail-Newsletter. Ob verstaubt oder nicht: Auf das „erfolgreiche Format Haustürwahlkampf“ will König nicht verzichten – gespickt mit dem Auftritt in sozialen Medien. Dieser Mix sei ideal gerade für kleinere Parteien. Denn: „Mit wenig Einsatz und Geld können wir viele Leute ansprechen.“
„Zu gestelzt, zu gewollt“ – so beurteilt Andreas Winhart, AfD-Vorsitzender im Kreisverband Rosenheim sowie Ortsbeauftragter für Bad Aibling, das CSYOU-Video. Vielleicht müsse sich die CSU auf diese Weise ein neues Image geben, mutmaßt Winhart und verweist darauf, dass die AfD relativ neu sei und eine überprofessionelle Darstellung unnötig. Winhart postet eigenen Angaben zufolge seit Langem auf Facebook, um genau seine Zielgruppe „auf die Minute, wie ich es brauche“ zu erreichen: das sind die 25- bis 70-Jährigen, die meisten Berufstätige.
Das Trend-Portal Instagram nutzen nach Worten des 36-Jährigen vor allem die 21- bis 28-Jährigen, wobei er beobachtet hat: „Inzwischen steigen viele junge Leute auf Snapchat um. Egal, welches Portal: Dem Netz gehört die Wählerschaft“, ist Winhart überzeugt.