Rosenheim – Im Frühjahr 2009 erlebte der evangelisch-lutherische Dekanatsbezirk Rosenheim eine personelle Neuerung: Mit Dekanin Hanna Wirth wurde erstmals eine Frau an die Spitze der 15 Kirchengemeinden im Dekanat berufen. Nach zehn Jahren im Amt geht Hanna Wirth nun im Oktober in den Ruhestand. In einem Gespräch mit den OVB-Heimatzeitungen blickt sie auf ihre Amtszeit zurück und verrät, was sie künftig machen wird.
Frau Wirth, mit welchen Gefühlen treten Sie Ihren Ruhestand an?
Es sind gemischte Gefühle. Es war eine sehr interessante und lebendige Arbeit hier in Rosenheim, die mir viel Freude bereitet hat. Insofern verspüre ich Wehmut. Auf der anderen Seite, und das habe ich mir früher nie vorstellen können, ist eine Vorfreude in mir. Ich finde das ein tolles Geschenk, dass wir in den Ruhestand gehen können und nicht mehr arbeiten müssen. Ich habe dann endlich mehr Zeit für meine Interessen.
Welche besonderen Erinnerungen nehmen Sie aus den vergangenen zehn Jahren mit?
Da fällt mir spontan der ökumenische Inseltag auf Frauenchiemsee ein, den wir 2012 veranstaltet haben. Sämtliche katholischen und evangelischen Gemeinden rund um den Chiemsee waren dabei und haben prima zusammengearbeitet. Das war ein tolles Erlebnis. Ich werde auch sehr gerne an die Berggottesdienste an der Kampenwand zurückdenken. Es ist ein ganz spezielles Erlebnis, in freier Natur einen Gottesdienst zu feiern. Dort oben ist alles so offen. Da macht es auch nichts, wenn die Kühe einem die Predigtblätter streitig machen oder sich die Blumendekoration am Altar einverleiben wollen.
Blicken wir auf die Anfänge Ihres Berufslebens: Was hat Sie dazu bewogen, eine Laufbahn in der Kirche einzuschlagen?
Ich stamme aus einem Pfarrhaus im schwäbischen Nürtingen. Zunächst wollte ich aber nie Pfarrerin werden, sondern Sprachen studieren. Durch meinen großen Bruder, der Theologie studiert hat, bin ich doch an das Thema herangeführt worden. Als ich dann erfahren habe, dass es inzwischen auch Frauen erlaubt ist, in Württemberg Pfarrerin zu werden, habe ich mich umentschieden und doch Theologie studiert.
Die christlichen Kirchen hierzulande kämpfen seit Jahren damit, dass sich immer mehr Menschen von ihnen abwenden. Worin sehen Sie die Gründe dafür und was kann man dagegen tun?
In das allgemeine Klagelied möchte ich nicht mit einstimmen. Ich glaube nicht, dass sich an der Frömmigkeit der Menschen so viel geändert hat. Die große Freiheit in unserer Zeit und die Vielfalt der Angebote haben etwas verändert. Zudem war es früher so, dass die Menschen in die Kirche gehen mussten, wenn sie nicht aus der Gemeinschaft ausgeschlossen werden wollten. Wer nicht ging, stand am Pranger. Das ist heute ganz anders. Wer in der Kirche sitzt, ist freiwillig dort. Wir Kirchen müssen in der Folge kompatibler werden zur Lebenswelt der Menschen. Wir haben zum Beispiel noch eine sehr eigene Sprache, die viele nicht verstehen. Wer weiß denn noch, was Gnade ist? Oder Segen? Das müssen wir alles übersetzen und den Menschen zugänglich machen. Und wir sind dabei, einen Blickwechsel zu machen. Es geht nicht darum, dass wir Menschen in die Kirchen bringen müssen. Wir müssen raus zu den Menschen. Darüber freue ich mich.
Im Berufsleben ist nicht immer alles eitel Sonnenschein. Wie hat Ihnen Ihr Glaube in schwierigen Situationen geholfen?
Ich habe so ein Grundvertrauen in mir, dass ich mit all meinen Fehlern in Ordnung bin. Diese Gewissheit hat mich stets getragen und gibt mir eine positive Einstellung zum Leben. Ich lebe in dem Bewusstsein, dass Gott nicht hinter mir steht und mich treibt, sondern dass er mit offenen Armen auf mich zukommt. Das hat mir auch in schweren Zeiten geholfen.
Beschreiben Sie doch bitte, wie Ihr Arbeitsalltag ausgesehen hat. Was macht eine Dekanin?
Wir sind eine gut organisierte Kirche mit zahlreichen Gremien. Das bringt viel Arbeit mit sich, auch in den Abendstunden. Darüber hinaus habe ich mich als eine Art Begleiterin intensiv mit den Berufswegen der Pfarrerinnen und Pfarrer in meinem Dekanatsbezirk beschäftigt. Persönliche Gespräche geführt und auch Beurteilungen geschrieben. Zudem war ich erste Ansprechpartnerin, wenn jemand ein Problem hatte oder eine neue Idee umsetzen wollte.
Haben Sie einen Lieblingsvers in der Bibel?
Da gibt es mehrere. Die entscheidende Botschaft für mich ist aber: Gott ist die Liebe. In 1. Johannes 4 heißt es: „Wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.“ Gott ist immer und überall, und das kann ich mir mit der Liebe sehr gut vorstellen.
Sie waren in Ihrer Funktion für rund 48000 evangelische Christen zwischen Mangfall, Inn und Chiemsee zuständig. Was möchten Sie den Gläubigen zum Abschied sagen?
Ich wünsche allen, dass sie ein tiefes Vertrauen in Gott und die Liebe finden. Und dass sie in diesem Vertrauen mutig im Miteinander nach vorne gehen.
Ihre Nachfolgerin wird Pfarrerin Dagmar Häfner-Becker, die bislang in Haar tätig war. Haben Sie sie schon eingearbeitet?
Wir haben uns mehrmals getroffen und lange unterhalten. Ich habe einen sehr guten Eindruck von ihr.
Wo wird Ihr künftiger Lebensmittelpunkt sein?
Ich bleibe in Oberbayern, ziehe aber nach Dorfen im Landkreis Erding. Eine sehr schöne Stadt. Sie liegt für mich auch strategisch günstig mit Blick auf die Wohnorte meiner vier Kinder.
Sie haben eingangs gesagt, dass Sie sich darauf freuen, mehr Zeit für Ihre Interessen zu haben. Was haben Sie denn vor?
Zunächst mal mache ich Pause und kümmere mich vor allem um meinen Umzug. Aber grundsätzlich werde ich endlich wieder mehr Blockflöte spielen können, das kam doch etwas zu kurz. Ich lese auch sehr gerne, dafür werde ich auch mehr Zeit haben als bislang. Ich möchte außerdem gerne verschiedene Reisen machen. Am meisten freue ich mich aber darauf, dass ich für meine Familie und Freunde da sein kann. Ich habe zwei Enkel, mit denen ich sehr gerne zusammen bin. Im Ruhestand müssen sich meine Kinder und Enkel nicht mehr auf mich einstellen, sondern ich kann mich nach ihnen richten.
Interview: Anton Maier