Oberaudorf – Seit elf Tagen geht Gabi Sillaber aus Oberaudorf durch die Hölle: aus Sorge um ihren Enkel Nazar, ein knappes Jahr alt und zuletzt mit seiner Mama in der Türkei. Bei der Familie von Nazars Papa, die aus dem Raum Mustafakemalpasa stammt, rund drei Autostunden von Istanbul entfernt.
Dort verschwand der Kleine urplötzlich. Bei einem Marktbesuch. Mama Rebecca sollte eine Cousine von Nazars Vater zur Toilette begleiten. Kaum zurück: War der Rest der Familie wie vom Erdboden verschluckt – inklusive ihres kleinen Sohnes Nazar.
Hilflos gegenüber Polizei und Behörden
So schildert es zumindest Oma Gabi Sillaber, die seit diesem 3. Oktober, als sie der Hilferuf ihrer Tochter erreichte, am Rande der Verzweiflung steht. Der Enkel: verschwunden. Die Tochter: in der Türkei, gut 2000 Kilometer Luftlinie entfernt, ohne große Türkischkenntnisse, ohne Geld und offenbar hilflos gegenüber Polizei und Behörden.
„Das ist Kindesentführung, aber keiner macht was“, ist Gabi Sillaber aufgebracht. Sie selbst hat Anzeige bei der Polizei Kiefersfelden erstattet – und setzt seit Tagen in den sozialen Medien alle Hebel in Bewegung, um ihren Enkel wiederzufinden.
Im Polizeipräsidium Rosenheim gibt man sich zurückhaltend. Nur so viel: Eine Anzeige liegt vor, die Ermittlungen laufen. In erster Linie seien nun aber die türkischen Behörden gefragt, heißt es dazu von Polizeisprecher Alexander Huber.
Ebenfalls eingeschaltet ist das Auswärtige Amt in Berlin, das wiederum über das deutsche Konsulat in Bursa in der betreffenden Region vertreten ist. Aus dem Auswärtigen Amt heißt es auf Anfrage: „Der Fall ist uns bekannt. Das Generalkonsulat in Istanbul steht mit der betroffenen Mutter in Kontakt.“ Zu Details oder zur Frage, wie weit die Bemühungen schon gediehen sind, wollte sich der Pressesprecher Ruben Schwarz indes nicht äußern. „Weitergehende Angaben zu konsularischen Einzelfällen machen wir grundsätzlich nicht.“
Die Mühlen der Behörden: Sie mahlen der Oma zu langsam – weshalb sie nun von Oberaudorf aus versucht, ihren Enkel ausfindig zu machen, um ihn zusammen mit seiner Mama zurück nach Hause zu holen. Denn sie ist überzeugt: Hinter dem Verschwinden steckt die Familie von Nazars Vater. Und sie mutmaßt auch: „Die Polizei dort weiß Bescheid und sagt uns nur nicht, wo Nazar ist.“
Ein Indiz ist für Gabi Sillaber: Etwa zwei Wochen vor dem spurlosen Verschwinden ihres Enkels war bereits sein Ausweis nicht mehr auffindbar. „Meine Tochter hatte der Familie angekündigt, dass sie wieder zurück nach Deutschland will. Dann war plötzlich der Ausweis von Nazar weg“, schildert die Oma die Zusammenhänge, wie sie sich ihr erschließen. Gerade, als sich ihre Tochter um neue Dokumente bemühen wollte, sei Nazar plötzlich verschwunden.
Sorgerecht liegt
allein bei der Mutter
Weil alle Aufrufe in den sozialen Medien, obwohl tausendfach weiterverbreitet, nicht zum Ziel geführt haben, plant Gabi Sillaber nun den nächsten Schritt: Sie will den türkischen Behörden beweisen, dass es sich tatsächlich um Kindesentführung handelt – und eben Handlungsbedarf besteht. Ihr Trumpf: ein Schriftsatz des Kreisjugendamtes Rosenheim, den sie ganz aktuell angefordert hat. Und der bestätigt: Ihre Tochter Rebecca hat das alleinige Sorgerecht und damit auch das Aufenthaltsbestimmungsrecht für Sohn Nazar.
Diesen Vorgang kann Behördensprecher Michael Fischer bestätigen – mehr aber auch nicht. „Zur Situation vor Ort haben wir keine Kenntnis“, erklärt er auf Anfrage. Das Kreisjugendamt habe zudem keine Möglichkeit, im Ausland einzugreifen.
Mit der Sorgerechtsbestätigung, die sie über einen Rechtsanwalt und Notar in der Türkei in die Landessprache übersetzen lassen will, hofft Gabi Sillaber, dass nun endlich Bewegung in den Fall kommt. Und dass sie ihr Enkelkind baldmöglichst wieder daheim in Oberaudorf in ihre Arme schließen kann.