Bange Sekunden im Zug

von Redaktion

Zwei Fahrgäste schildern, wie der Meridian-Ersatzzug entgleist

Rosenheim/München – An der Hackerbrücke ist am Freitagnachmittag ein Meridian-Ersatzzug entgleist. 100 Passagiere, die in Richtung Rosenheim und Kufstein unterwegs waren, mussten in Sicherheit gebracht werden – unter anderem Natascha Baumgartner und Michael Baumert.

München Hauptbahnhof, Abfahrt 16.08 Uhr. Pünktlich auf die Minute. Für Natascha Baumgartner ist es zunächst eine Heimfahrt wie jede andere auch. Freitags geht es für die Studentin nachmittags immer zurück von München nach Grafing. „Weil die Uni etwas länger gedauert hat, habe ich nicht die S-Bahn genommen, sondern den Meridian“, sagt die 22-Jährige. Genauer gesagt: einen Ersatzzug des Dienstleisters TRI in Richtung Kufstein, Zugnummer 79077.

„Die Waggons sind schon älter. Da rumpelt und ruckelt es immer, wenn es über die Weichen geht“, sagt Baumgartner. Deshalb dauert es ein paar Sekunden, bis sie realisiert, was passiert. Bis ihr klar wird, dass das Rumpeln und Ruckeln an der ersten oder zweiten Weiche nicht mehr normal ist. „Die Schläge von unten haben sich nach und nach aufgebaut und wurden immer stärker.“

Zunächst habe sie noch versucht, einfach ihre Tasche auf dem Schoß festzuhalten, „dann habe ich mich nur noch an der Armlehne und an der Kopfstütze des Vordersitzes festgekrallt“. Gepäckstücke seien aus den Ablagen gefallen, „meine Tasche und mein Laptop waren mir da schon egal“. Das Verrückte sei: „Auf die Idee, die Notbremse zu ziehen, wäre ich in diesem Moment nie gekommen.“

Fahrgast zieht
die Notbremse

Das erledigen zum Glück andere. Zeitgleich greifen der TRI-Zugführer und ein Fahrgast zur Notbremse. Später stellt sich heraus, dass der Fahrgast vom Fach ist: ein Triebfahrzeugführer von einem anderen Unternehmen, der zufällig privat im Zug sitzt.

Nach ein paar Sekunden kommen die Waggons endlich zum Stehen, für Natascha Baumgartner eine halbe Ewigkeit. Die Angst weicht einem ersten Schock. „Ich musste erst einmal tief durchschnaufen. Ein paar Tränen kamen dann ganz von allein.“

Die anderen Fahrgäste in dem entgleisten Waggon reagieren ganz unterschiedlich auf die Situation: „Die beiden Frauen im Sitz hinter mir haben ein wenig gekreischt, zwei Mädchen vor mir haben sich gegenseitig festgehalten. Und weiter hinten war eine Gruppe junger Männer, die schon nach ein paar Minuten gejammert hat, wie lange das wohl wieder dauern wird.“

Um den verspäteten Feierabend macht sich Natascha Baumgartner erst einmal keine Gedanken. „Ich war froh, dass alles vorbei ist. Irgendwie fürchtet man sich automatisch noch vor einem großen Knall. Bis eben klar ist, dass nichts weiter passiert.“

Zur allgemeinen Beruhigung in dem entgleisten Waggon trägt der Triebfahrzeugführer bei, der auch die Notbremse gezogen hat. Er habe sich schnell um alle gekümmert, sagt Baumgartner. „Der junge Mann hat die Leute einzeln angesprochen, sie aufgefordert sitzen zu bleiben und sich nach Verletzungen erkundigt. Damit war auch bei mir die erste Panik gebannt. Gut, dass er da war.“

Während der Lokführer in einer ersten Durchsage noch von einer technischen Störung spricht, strecken die Fahrgäste schon die Köpfe aus den Fenstern, die sich bei diesen älteren Waggons noch öffnen lassen. Auch Michael Baumert, der im Waggon vor Natascha Baumgartner sitzt, sieht nach, was los ist. „Es war offensichtlich, dass die hinteren beiden Waggons entgleist sind“, sagt der 29-Jährige, der täglich zwischen Großkarolinenfeld und München pendelt.

Den Unfall selbst schildert der Bankkaufmann ähnlich wie die 22-Jährige: „Das Scheppern im Übergang der beiden Waggons wurde immer lauter, dazu haben die Bremsleitungen gezischt. Schon aufgrund des Lärms war klar, dass irgendwas nicht rund läuft.“

In seinem Waggon, der nicht entgleiste, seien die Fahrgäste auffallend ruhig geblieben. „Von einer Panik war nichts zu spüren“, sagt Baumert. Schon nach wenigen Minuten hätten sich Bahn- und Meridian-Mitarbeiter gekümmert. „Ich hatte das Gefühl, dass alles sehr geordnet ablief.“

Feuerwehr und Bundespolizei treffen schnell am Unglücksort ein, die Evakuierung der Waggons läuft reibungslos. „Im Gänsemarsch haben wir über kleine Leitern den Zug verlassen und wurden zum Bahnsteig an der Hackerbrücke begleitet“, sagt Natascha Baumgartner.

Um kurz vor halb sieben sitzt die 22-Jährige dann in der S-Bahn. Es geht nach Hause, nach Grafing. Sie ist unverletzt, spürt aber, dass die Ereignisse Spuren hinterlassen haben: „Man achtet automatisch auf jedes Geräusch, das der Zug macht. Und hält sich ordentlich fest.“

Der entgleiste Zug: Weiter Behinderungen – Ursache unklar – Zug war nicht zu schnell

Der entgleiste Meridian-Ersatzzug des Dienstleisters TRI brachte nicht nur am Freitagabend den Bahnverkehr in und um München völlig außer Takt. Die Folgen waren das ganze Wochenende vor allem auf der Strecke München - Rosenheim - Kufstein spürbar und könnten vereinzelt auch noch Auswirkungen auf die kommenden Tage haben.

Aufgrund der blockierten Gleise kam es bis zur Räumung der Strecke am Samstag zu Einschränkungen im Regionalverkehr. So fuhr der Meridian nicht zwischen München Hauptbahnhof und München Ostbahnhof. Die Meridian-Züge von beziehungsweise nach Kufstein endeten beziehungsweise starteten in Rosenheim. Fahrgäste von Kufstein nach München mussten deshalb ab Rosenheim den Meridian von Salzburg nach München nutzen.

Aktuell laufen an der Hackerbrücke noch Nacharbeiten, unter anderem müssen die Oberleitungen wieder in Position gebracht werden. Zudem seien drei Weichen beschädigt, teilt die Bahn mit. Die Instandsetzung werde voraussichtlich mehrere Tage in Anspruch nehmen, wodurch es weiterhin zu Behinderungen kommen kann. „Die Züge von und nach Kufstein fahren am Montag voraussichtlich nur vereinzelt bis zum Hauptbahnhof durch, der Rest endet in München-Ost“, sagt Fabian Amini, Geschäftsführer der Bayerischen Oberlandbahn GmbH. Die Münchner S-Bahn ist nicht betroffen und kann zwischen Ostbahnhof und Hauptbahnhof als Alternative genutzt werden.

Zur Unfallursache sagt der BOB-Geschäftsführer: „Wir müssen abwarten, was die Untersuchungen ergeben.“ Fest stehe, dass der Zug nicht mit überhöhter Geschwindigkeit unterwegs war: „Erlaubt sind 40 Stundenkilometer, der Zug fuhr 27.“ Der Dienstleister TRI sei als zuverlässiger Partner bekannt, sagt Amini. „Wir haben TRI bereits mehrfach beauftragt. Bisher wurden die Leistungen reibungslos und ohne Komplikationen für uns erbracht.“

Reisende können sich online unter www.meridian-bob-brb.de informieren. Der Kundenservice ist unter Telefon 08024/997171 erreichbar.

Wie es sich anhört, wenn ein Zug entgleist: www.ovb-online.de

Artikel 3 von 11