Übersee – Jetzt kann Helen Bartok über den gehörigen Schrecken lachen, den ihr am frühen Sonntagmorgen ein knapp drei Zentimeter großes Spinnentier eingejagt hat. Aber die Sache hätte auch schiefgehen können. Dann wäre die 43-jährige Überseerin vermutlich im Krankenhaus gelandet. Doch der Reihe nach: „Als ich mit einer Tasse Kaffee die Treppe bei uns zu Hause runter kam, fiel mir ein schwarzes Tier auf, das sich nicht bewegte und dachte, die Kinder wollten mir einen Streich spielen“, erinnert sich die dreifache Mutter.
„In etwas Öl braten,
mit Rosmarin würzen“
Doch als sie erneut an der Stelle vorbeikommt und Licht anmacht, bewegt sich das Etwas doch und Bartok erkennt: langer, charakteristischer Schwanz, große Scheren, acht Beine. Ein Skorpion. „Ich habe sofort ein Glas drüber gestülpt!“ Ganz sicher ist Bartok sich aber nicht, postet ein Foto in der Facebook-Gruppe „Chiemgau – do bin i dahoam“ und erhält den Hinweis von Nutzern, es könne sich um ein Mittelmeerskorpion handeln. Manche machen einen Witz daraus und raten Bartok, den Skorpion in Öl mit etwas Rosmarin zu braten. Aber sie posten auch den für sie wertvollen Hinweis: Diese Art ist ungefährlich für den Menschen, ihr Stich jedoch schmerzhaft wie von einer Wespe. „Und dagegen bin ich hoch allergisch!“
Bartok, die in der Pflege arbeitet, ruft nach Dienstschluss bei der Polizei Grassau an. Diese hält Rücksprache mit einem Experten und stuft das Spinnentier –von Bartoks Kindern tagsüber liebevoll mit Spinnen aus dem Garten gefüttert – als „normale Fundsache“ ein, die Bartok bei der Gemeinde Übersee abliefern darf. „Die haben nicht schlecht gestaunt“, schmunzelt sie.
Meistens bestehe keine ernsthafte Gefahr beim Fund solcher exotischer Tiere, beruhigt der in der Region bekannte Reptilienexperte Manfred Werdan aus Haiming im Kreis Altötting.
Der 58-Jährige ist freier Regierungssachverständiger und wird häufig hinzugezogen, wenn irgendwo eine entwischte Schlange, ein Gecko oder andere „Funde“ gemeldet werden, die Bürgern einen Schrecken einjagen.
Handelt es sich um einen Skorpion, warnt er nur vor hellen bis gelblichen Exemplaren mit kleineren, schlanken Scheren – „die sind definitiv giftig“. Es sei aber recht unwahrscheinlich, dass ein solches in einem regionalen Wohnzimmer aufkreuze. Ganz im Gegensatz zu seinen ungefährlicheren Artgenossen: „Mittelmeerskorpione kommen zum Beispiel in Italien, Kroatien und Griechenland vor. Tauchen sie bei uns auf, handelt es sich in der Regel im einen blinden Passagier, den man aus dem Urlaub mitgebracht hat.“ Zum Beispiel im Wohnmobil. In der Garage, auch über Schmutzwäsche ins Haus gelangt, könnten Skorpione oft monatelang unentdeckt überleben.
Die Familie von Helen Bartok war schon länger nicht mehr am Mittelmeer. Bartok lässt keine Ruhe, wie der „blinde Passagier“ in ihr Haus gelangt sein könnte. Da fällt ihr ein: „Unsere Nachbarn verbringen viel Zeit in Kroatien –könnte ja sein, dass ich den Skorpion vom Kaffeetrinken bei der Nachbarin mitgebracht habe.“ Dass man sie überhaupt finde, sei meist Zufall, weiß Experte Werdan: „Skorpione sind lichtscheu und wärmeliebend.“ Ein behagliches Wohnzimmer biete gute Versteckmöglichkeiten – entsprechend flink bewegten sie sich dort auch.
Bartok hat nur ein einzelnes Exemplar bei sich gefunden. Möglich sei es aber auch, so Werdan, dass nach einiger Zeit gar eine kleine Skorpionfamilie im eigenen Zuhause lebe: „Nämlich wenn der ungebetene Gast ein Weibchen ist, das seine Reise begattet angetreten ist.“
Den Salat hat
er verschmäht
Damit sich der Mensch vor Skorpionen, Echsen oder Schlangen nicht unnötig graust, hält Werdan laufend Vorträge an den sechsten und achten Klassen bayerischer Schulen. „Lebendiger Biologie-Unterricht“ nennt er das: Er hat allerhand lebendiges Anschauungsmaterial dabei, von der Vogelspinne bis zur Schlange.
So kommt Werdan am 31. Januar zum Beispiel ans Ludwig-Thoma-Gymnasium nach Prien. Und bringt den Schülern alles mögliche Wissenswerte über die gewöhnungsbedürftigen Zeitgenossen bei.
Wenn Bartok und ihre Familie eines aus der Skorpion-Begegnung gelernt haben, dann: „Salat mögen sie nicht.“ Denn in das Salatblatt, das Bartok dem tierischen Hausgast ins Glas geschoben hat, rollte sich der Skorpion lediglich zum Verstecken ein. Gefressen haben das Blatt die Spinnen – bevor sie sich der Skorpion schmecken ließ.