Pistenspaß ohne „Disney-Attraktionen“

von Redaktion

Wie Wintersportorte wie Reit im Winkl und Oberaudorf beim Thema Tourismus auf Balance setzen

Reit im Winkl/Oberaudorf – Verstopfte Straßen, Gedränge an den Liften, Stau auf den Pisten – immer mehr Wintersportgebiete beklagen zu viel Tourismus. Die Einheimischen sehen ihre Lebensqualität in Gefahr, Umweltverbände die Natur. Tourismusorte wie Reit im Winkl und Oberaudorf versuchen nach eigenen Angaben hingegen, mit ausgewogenen Angeboten alle Gruppen zufrieden zu stellen.

„Schnee“ – ein Schlüsselwort für Orte in der Region, die unter anderem vom Wintertourismus leben. Um einen Mangel an Schnee macht sich Hannes Rechenauer, Geschäftsführer der Hocheck-Bergbahnen in Oberaudorf, allerdings weniger Sorgen. Den hat er meist ausreichend. Oder zumindest so viel, dass mit Unterstützung der Beschneiungsanlagen auch dann Abfahrten möglich sind, wenn ab Flintsbach die Hänge und Wiesen grün sind.

Tagestourismus
als Einnahmequelle

Und genau hier liegt das Problem: Oberaudorf lebt überwiegend vom Tagestourismus – und den wiederum bestimmt zu einem Gutteil der ganz normale Gelegenheitsskifahrer. Der aber brauche, so Rechenauer, damit der Impuls zum Skifahren gehen in ihm wach wird, eine gewisse Wintergestimmtheit. „Und die kommt einfach nicht auf, wenn beim Blick aus seinem Rosenheimer Fenster alles grün ist“.

Wobei der Trend zum Skifahren nach Rechenauers Beobachtung sowieso abnimmt. Rodeln sei dabei, dem Skifahren langsam den Rang abzulaufen. „Für Familien mit mehreren Kindern ist Skifahren oft zu teuer. Manche fangen damit erst gar nicht mehr an, weil sie Wintersport wegen des Klimawandels sowieso für ein Auslaufmodell halten. Rodeln ist da eine Alternative, die zudem keine lange Lernphase voraussetzt.“

In Oberaudorf ist man deshalb froh, frühzeitig mit einer speziellen Strecke aufs Rodeln gesetzt zu haben. Wobei man die Skifahrer natürlich nicht aus den Augen verliert und sich deshalb intensiv um den Nachwuchs kümmert, zum Beispiel mit speziellen Anfängerstrecken.

Mit Rodeln hat Hans-Peter Merkl aus Raubling weniger am Hut. Er ist begeisterter Skifahrer und deshalb ist es für ihn auch völlig unerheblich, ob es daheim beim Blick aus dem Fenster weiß ist oder grün. Er will Ski fahren – schnell und unkompliziert. Und deshalb sei die Hocheck-Bahn für ihn ein gutes Ziel: Aufs Sudelfeld braucht er 20 Minuten länger, in Richtung Österreich nerven ihn die Dosierampeln, die den Verkehr durch die Ortschaften entzerren sollen.

Vor allem wegen der Möglichkeit, hier unter Flutlicht auch abends noch Ski fahren zu können, fährt er gerne Richtung Oberaudorf: „Da kann man auch nach der Arbeit noch ein paar Stunden auf seine Kosten kommen.“ Ein Angebot, dass nicht nur ihn zu einem treuen Kunden der Hocheckbahnen macht. „Sie müssen sich an den Abenden nur einmal die Autonummern anschauen“ so sagt er, „mehr als der halbe Parkplatz ist voller Münchner“. Alles in allem sei man in Oberaudorf, so Zweiter Bürgermeister Alois Holzmaier, in puncto Wintersportangebot gut aufgestellt.

In Reit im Winkl ist Schnee nach Angaben von Florian Weindl, Chef der Tourist-Information, kein bestimmendes Thema. Reit im Winkl selbst ist als Schneeloch bekannt, seine Gäste sind überwiegend Übernachtungsgäste: Anders als in Oberaudorf ist für sie ein „grüner Blick aus dem heimischen Fenster“ kein Hinderungsgrund, sondern vielmehr der Anlass, hier einen Urlaub zu buchen.

Übernachtungsdauer geht weiter zurück

Seine Probleme liegen anderswo: Die Übernachtungsdauer nahm in den letzten Jahren ab. Lag sie im Jahr 2005 im Schnitt noch bei sieben Tagen, sind es jetzt nur noch knapp über fünf. Die Folge: Um die rund 400 Vermieter mit ihren 4500 Betten nach wie vor auslasten zu können, müssen mehr Gäste als früher angelockt werden. Das Mittel dazu ist das Angebot zu erweitern, über das alpine Skifahren hinaus und ausgerichtet auf alle Altersgruppen.

Auch hier setzt man deshalb aufs Rodeln, daneben vor allem auf Langlauf. Und auf präparierte Winterwanderwege. Nicht unten im Dorf, sondern in den Hochtälern, zum Beispiel dem der Hemmersuppenalm.

Diesen Winterwanderweg hat auch Roland Österlein aus Crailsheim begangen, der zusammen mit seiner Lebensgefährtin und zwei Freunden hier Urlaub macht. Nach Reit im Winkl hat sie die Vielfältigkeit des Angebotes gelockt: „Das Remmidemmi eines Skizirkus brauchen wir nicht mehr“, meinen sie. Dabei wird, so erzählt Günter Dirnhofer, Wirt der Hindenburghütte auf der Hemmersuppenalm, der Winterwanderweg auch von vielen jungen Leuten genutzt.

Umweltverträglichkeit muss gelebt werden

Vielleicht zeichnet sich hier schon ein Trend zu einem umweltverträglichen, einfachen Tourismus ab, den man in Reit im Winkl nach Kräften unterstützt. Entscheidend ist für Tourismuschef Weindl dabei, dass die Umweltverträglichkeit kein aufgelebtes Etikett ist, sondern gelebt wird: „Wir haben da unsere Hausaufgaben glücklicherweise frühzeitig gemacht, auch ganz grundlegend, etwa mit unserer Fernwärmeversorgung auf Basis einer Hackschnitzelheizung.“ Wenn in den Gemeinden Oberaudorf und Reit im Winkl auch Gästestruktur und damit die Ausgestaltung der Angebote in Teilen unterschiedlich sind, in einem ist man sich in beiden Gemeinden einig: Nur so lange die Einheimischen nicht das Gefühl haben, in einem Umfeld voller „Disney-Attraktionen“ zu leben, sondern sich nach wie vor sagen können „da samma dahoam“ steht auch der Tourismus auf einer zukunftssicheren Basis.

Johannes Thomae

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