Substitution nur in zwei Praxen

von Redaktion

Zu wenige Angebote für diese Form der Suchthilfe in der Region


Wasserburg/Rosenheim
– Für viele Süchtige ist sie ein letzter Weg für die Rückkehr in ein normales Leben: die Therapie mit Drogensubstitution. Sie hilft oft, von der Abhängigkeit von Opiaten loszukommen. Das Problem: Dramatisch wenige Ärzte bieten sie an. Gerade mal zwei sind es in Stadt und Landkreis Rosenheim.

Ortstermin
beim Experten

„Das ist eine der erfolgreichsten medizinischen Therapien überhaupt“, sagt der Allgemeinarzt Raimund Arnold seinem Gast Daniela Ludwig. Die Rosenheimer CSU-Bundestagsabgeordnete ist Drogenbeauftragte der Bundesregierung und als solche auch daran interessiert, wie man Abhängigen hilft. Wie in Wasserburg: Zusammen mit der Allgemeinärztin und Homöopathin Claudia Eisenhut betreut Arnold 45 Patienten.

Eine Therapie, die
Leben ermöglicht

„Früher war das Ziel der Ausstieg aus der Sucht“, sagt Arnold auf Nachfrage des OVB. „Doch davon hat man sich verabschiedet. Mittlerweile ist das Ziel: Überleben.“ Substitutionstherapie bedeutet auch, die schlimmsten Folgen der Sucht etwa durch schmutziges Besteck oder unreines Rauschgift zu vermeiden. Abhängige werden als Patienten gesehen, die unter einer chronischen Krankheit leiden. „Etwa wie Diabetiker, die Insulin benötigen“, sagt Arnold.

Vor der Kriminalisierung bewahrt, führen viele Abhängige tatsächlich ein Leben, das als weitgehend normal gelten kann. Die Hälfte der Patienten ist voll in die Gesellschaft integriert. „Über 20 Patienten sind berufstätig, haben Familie, und niemand würde es bemerken, dass sie auf Methadon angewiesen sind“, berichtet Arnold.

Die Erfolgsgeschichte könnte noch besser laufen, wie auch Ludwig aus Gesprächen weiß. „Wir haben zu wenige Ärzte, die diese Therapie anbieten“, sagt sie. „Ich wünsche mir, dass wir gerade in ländlichen Regionen ein flächendeckendes Angebot schaffen.“

Dem schließen sich Claudia Eisenhut und Raimund Arnold an. „Wir haben in Stadt und Landkreis Rosenheim zwei Praxen, die diese Art von Substitution anbieten. Nötig wären aber mindestens vier mit insgesamt 100 Plätzen. Wir können keine Substitutionspatienten mehr annehmen.“ Kurios: Genügend qualifizierte Ärzte gäbe es. „Doch nur ein kleiner Teil der Mediziner, die die entsprechenden Kurse absolviert haben, bietet tatsächlich die Therapie an“, sagt Arnold.

Ein Grund: Die Mehrarbeit ist schlecht bezahlt. Für einen persönlichen Kontakt sind in der Gebührenordnung gerade einmal 4,28 Euro vorgesehen. Die Hausärzte aber müssten mit ihren Patienten reden, ihnen Blut- und Urinproben abnehmen und Alkoholkontrollen durchführen, sagt Arnold. „Vergütung und Zeitaufwand stehen in keinem Verhältnis.“ Es sei daher kein Wunder, dass bayernweit keine einzige Klinik mehr Drogensubstitution anbietet. „Das ist für Krankenhäuser unwirtschaftlich.“

Ein weiteres Problem ist das Image der Arbeit. „Manch ein Mediziner will keine Drogensüchtigen in seinem Wartezimmer haben, weil es anderen Patienten vielleicht unangenehm sein könnte“, sagt Raimund Arnold. „Wir beugen diesem Problem vor, indem wir täglich eine eigene Sprechstunde nur für Substitutionspatienten anbieten.“ Manche fürchten Konflikte mit einer speziellen Klientel. Derlei haben Eisenhut und Arnold noch nicht erlebt, aber – „es ist schon soziales Engagement“, wie Arnold sagt. „Ich sehe, dass wir viel Positives machen können, indem wir Süchtige stabilisieren und aus der Illegalität holen“, sagt Claudia Eisenhut. „Die werden oft abgelehnt und bekommen keine Chance.“ Petra Jas in Rosenheim führt die besagte zweite Praxis im Landkreis. „Die haben keine Lobby“, sagt sie. „Dabei kann das jeden in jeder Schicht treffen.“ Allerdings sollten Krankenkassen und Politik auch einsehen, dass dieser Dienst angemessen bezahlt werden müsste.

Daniela Ludwig
verspricht Gespräche

Die Gesundheitspolitiker sehen das Problem, beteuert Daniela Ludwig, die der Union genauso wie die Kollegen von der SPD. „Wir wissen auch, dass die wirtschaftliche Situation der Hausärzte nicht so herausragend ist, wie sie in der Öffentlichkeit oft gesehen wird“, sagt sie.

Geld allein wird es ohnehin nicht richten. Arnold verspricht Unterstützung. „Die Ärzte, die das jetzt bereits machen, sind auch bereit, den Kollegen Hilfe zu leisten, die sich dazu entschließen wollen, diese Therapie anzubieten.“ Auch Ludwig appelliert an die Mediziner. Die Gesellschaft habe den Auftrag zu helfen. Je mehr Ärzte mitmachten, „desto besser könnte man die Plätze in der Fläche verteilen“. Derweil stellt der Mangel an Ärzten mit Substitutionserfahrung viele Suchtkranke vor Probleme. Nur jeder zehnte Patient in der Praxis von Eisenhut und Arnold kommt aus Wasserburg. Die anderen reisen bis aus dem Inntal an. Ein großer Aufwand gerade für das erste halbe Jahr, wenn die Patienten täglich kommen, um sich mit Methadon behandeln zu lassen.Auch Fachleute wie Maximilian Jaroljmek von der Diakonie in Rosenheim kennen das Problem. Jaroljmek leitet die Fachambulanz für Suchterkrankungen. Er weiß um die Schwierigkeit vieler Abhängiger und um die weiten Strecken. Er hat sich schon mal umgeschaut, wie man das in anderen Ländern macht. In Portugal zum Beispiel. „Dort gibt es eine mobile Substitutionsambulanz.“

Aber vielleicht lassen sich ja auch noch einige Mediziner überzeugen. Petra Jas kann davon erzählen, dass der Dienst auch etwas zurückgibt. Sie bietet Substitutionstherapie seit 20 Jahren an, an nahezu jedem Tag des Jahres. „Und wir machen das auch nach dieser langen Zeit noch gern.“

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