Rosenheim – Dunkles Metall auf dunklem Grund: Auf den ersten Blick ist der Blindgänger im Erdreich kaum zu erkennen. Die 500-Kilo-Bombe wurde am Sonntagmittag bei Sondierungsarbeiten auf dem Rosenheimer Bahnhofsgelände entdeckt. Direkt neben Gleis13.
Überraschend kommt der Fund nicht. Schon im Vorfeld der Bodenuntersuchungen zur Verlegung des Mühlbachs hatten die Experten darauf hingewiesen, dass die Wahrscheinlichkeit eines Treffers relativ hoch sei. Kein Wunder, mindestens 14-mal wurde die Stadt Rosenheim im Zweiten Weltkrieg bombardiert. Alleine beim letzten Angriff auf den Bahnhof am 18. April 1945 fielen 1300 Bomben vom Himmel.
Wie viele davon nicht explodiert sind, ist völlig unklar. Fakt ist, dass mit der vermehrten Bautätigkeit rund um den Bahnhof immer wieder Blindgänger entdeckt werden: 2014 und 2015 im Areal Nord, 2016 an der Enzensperger Straße, 2017 an der Kastenau. Nun also Bombe Nummer fünf in weniger als sechs Jahren.
13 Uhr: Die Bombe
wird entdeckt
Entsprechend ruhig und routiniert reagieren die Einsatzkräfte und Behörden gestern, als die Nachricht gegen 13 Uhr mittag eintrifft. Die Polizei sperrt die Klepperstraße auf der Südseite des Bahnhofs, die Züge der Gleise 6 bis 13 werden umgeleitet. Darüber hinaus läuft der Bahnverkehr erst einmal weiter. Lediglich die Geschwindigkeit der durchfahrenden Züge wird reduziert.
Um 15.49 Uhr informiert die Stadt Rosenheim die Öffentlichkeit via Pressemeldung. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich in der Rosenheimer Hauptfeuerwache bereits die Führungsgruppe Katastrophenschutz (FüGK) unter der Leitung von Stadtbrandrat Hans Meyrl getroffen, ein Bürgertelefon eingerichtet und den Sprengmeister informiert.
17 Uhr: Die
Entscheidung fällt
Um kurz vor 17 Uhr steht die Entscheidung dann fest: „Entschärfung noch am Sonntagabend“, heißt es. Also wenige Stunden bevor Sturm „Sabine“ anrückt und alle weiteren Planungen über den Haufen werfen kann. Noch einmal vergehen knapp zwei Stunden, bis der endgültige Evakuierungsradius feststeht. 1792 Bürgerinnen und Bürger sind betroffen (siehe Karte). Um 19.16 Uhr wird der komplette Bahnverkehr in Rosenheim eingestellt, um 19.30 Uhr klingeln die Einsatzkräfte an den ersten Haustüren.
„Bisher verläuft alles nach Plan“, sagt Rosenheims Pressesprecher Thomas Bugl zu diesem Zeitpunkt. „In der Einsatzzentrale sind alle Beteiligten perfekt aufeinander abgestimmt, sodass wir keine unnötige Zeit verlieren.“ Laut Bugl geht der Sprengmeister von einem Routinefall aus. „Er macht bei den Besprechungen auf mich nicht den Eindruck, als sei dieser Fall eine außergewöhnliche Herausforderung für ihn.“ Dennoch betont Bugl: „Jede Bombe ist anders.“ Diese zum Beispiel sei nicht mehr ganz komplett. „Das hintere Leitwerk ist wohl abgerissen.“
Unterdessen läuft die Koordination der Einsatzkräfte auf Hochtouren. Eine Mammutaufgabe: Innerhalb weniger Stunden gilt es 400 Feuerwehrleute, 100 Polizisten, 55 THW-Mitglieder und 80 Rettungsdienstmitarbeiter von BRK und Malteser-Hilfsdienst dorthin zu bringen, wo sie gebraucht werden. In die Luitpoldhalle zum Beispiel. Dort richten die Malteser ein Notquartier für rund 300 Betroffene ein. „Für uns ist so eine Evakuierung auch eine gute Gelegenheit zu zeigen, was man gelernt hat, ohne emotional betroffen zu sein“, sagt Einsatzleiter Thomas Zschocke.
20 Uhr: Gelassenheit
in der Luitpoldhalle
Eine der Ehrenamtlichen, die Bierbänke und Liegen aufbaut, ist Melanie Klink aus Rosenheim. Sie saß nachmittags gerade auf der Couch als die Nachricht vom Einsatz kam. Kein Problem für sie: „Wenn man sich davon gestört fühlen würde, wäre man im Ehrenamt fehl am Platz.“
Unterdessen läuft die Evakuierung auf Hochtouren. Stadtbrandrat Hans Meyrl wendet sich via Pressemitteilung noch einmal an alle Betroffenen: „Der Sprengmeister wird mit der Entschärfung der US-amerikanischen Bombe erst beginnen, sobald der Evakuierungsbereich freigeräumt ist. Deshalb appellieren wir an alle betroffenen Bürgerinnen und Bürger, kooperativ zu sein und sich aus dem Evakuierungsbereich zu entfernen.“
Gisela Cevikel hat von einer Nachbarin erfahren, dass sie ihre Wohnung verlassen muss – und nimmt es gelassen. „Ich kenne das Spiel, ich wurde schon einmal evakuiert. Darum habe ich auch meine Papiere, was zum Trinken und meine Medikamente eingepackt und bin hierher in die Luitpoldhalle gekommen“, sagt sie. Bis Mitternacht könne die Aktion dieses Mal dauern hat man ihr gesagt. „Kein Problem, mir kann heute ohnehin nichts mehr passieren“, sagt sie und zeigt lachend ihr Registrierungsarmband. Es trägt die Nummer 13. Wie das Gleis, an dem die Bombe liegt.
Bis Redaktionsschluss dieser Ausgabe war die Bombe noch nicht entschärft.