Rosenheim – Wollte man die Feier zur Einführung der neuen evangelischen Dekanin in einem kurzen Satz zusammenfassen, so müsste man sagen: Dagmar Häfner-Becker ist mit weit geöffneten Armen empfangen worden.
Und auch dieser Eindruck fand seine Bündelung wiederum in einer besonderen Szene: Als sich der katholische Dekan, Domkapitular Daniel Reichel, während seiner Ansprache zu ihr wandte und sagte „Ich biete Ihnen heute meine Mitarbeit an“, da schwang in seiner Stimme so viel Herzlichkeit und Nachdruck mit, dass klar war: Es geht hier nicht um eine geschäftsmäßige Floskel, es geht hier nicht um bloße Mitarbeit, es geht um das Angebot einer Freundschaft unter Christen, was vom bis auf den letzten Platz angefüllten Kirchenschiff der Rosenheimer Erlöserkirche mit begeistertem Applaus begrüßt wurde.
Viel von der Offenheit und Herzlichkeit, die der neuen Dekanin entgegengebracht wurde, darf sie sich aber selbst zuguteschreiben: Denn sie wirkt fröhlich, freundlich und aufgeschlossen, weshalb man es ganz selbstverständlich findet, wenn sie sagt, Kirche müsse einladend sein, zugewandt und Teil der Gesellschaft.
Dass sie dieses Ziel vermutlich recht konkret und praxisbezogen umsetzen wird, brachte Oberbürgermeisterin Gabriele Bauer in ihrem Grußwort auf den Punkt. Sie zitierte Georg Christoph Lichtenberg, einen Naturforscher aus dem Zeitalter der Aufklärung, der für seine ebenso scharfzüngigen wie hellsichtigen Aphorismen bekannt ist. Der sagte einmal: „Dass in den Kirchen gebetet wird, macht dort den Blitzableiter nicht überflüssig“, und diese Realitätsverbundenheit glaubt die Oberbürgermeisterin auch in der Person von Dagmar Häfner-Becker zu finden. Schließlich hatte diese vor ihrem Theologiestudium zunächst in einer Bank gearbeitet, gewissermaßen dem Inbegriff eines pragmatischen Realismus.
Ein Eindruck, der für die Oberbürgermeisterin wohl auch sonst nicht von ungefähr kam. Die Dekanin hat sich als Motto ihrer Arbeit eine Zeile aus dem Zweiten Korintherbrief ausgewählt: „Der Herr ist der Geist; wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit.“ Das aber nicht bloß als vage Befindlichkeitsbeschreibung, sondern, wie Christian Kopp, Regionalbischof der evangelischen Kirche, meinte, als konkrete Absichtserklärung: „Freiheit. Das ist ihr Programm. Das ist unser Programm. Das ist das Programm von Jesus Christus. Das ist das Evangelium, das wir Christen leben, lieben, ausstrahlen.“
Für Dagmar Häfner-Becker ist mit dieser Freiheit nicht nur Befreiung gemeint von allen existenziellen Lebensängsten, sondern eine Möglichkeit zum Handeln, die im Grunde grenzenlos ist. Eine ungeheure Option in einer Zeit, in der viel davon gesprochen wird, dass mehr Gestaltungswillen nötig sei. Entscheidend dabei: die einzige denkbare Einschränkung, die es dabei gibt, ist nach Ansicht der Dekanin für christliches Handeln sowieso von vornherein selbstverständlich, „weil alles was wir tun, zunächst daran zu messen ist, ob es dem Zusammenleben aller Menschen dient“.
Darin steckt viel Theologie – doch der Dekanin gelang es, diese in ihrer Predigt schnell konkret zu machen. Sie sprach von dem Lied „Haus am See“ von Peter Fox, das sie in seinem Optimismus begeistere, zum Beispiel wenn es darin heißt: „Ich hab‘ den Tag auf meiner Seite, ich hab‘ Rückenwind… ich lehne mich zurück und guck‘ ins tiefe Blau… Schließ‘ die Augen und lauf‘ einfach geradeaus“. Unbehagen mache sich bei ihr nur breit, wenn Fox dann den gut bekannten Refrain singe „Ich hab‘ zwanzig Kinder, meine Frau ist schön, alle kommen vorbei, ich brauch‘ nie rauszugehen“.
Zwanzig Kinder – die müsse man erst mal bekommen und die Aufforderung, schön zu sein, so die Dekanin mit einem Augenzwinkern, löse bei ihr vor allem eins aus: Stress. Das Lied sei deshalb eines, bei dem der Optimismus, so ansteckend er an sich sei, im Grunde auf hohlem Boden stehe, weil er die anderen nicht mitnähme, sondern als reine Statisten für eine letztendlich ziemlich egoistische Glücksvorstellung sehe. „Wenn ich seine Frau wäre, dann wüsste ich: mich meint er in Wirklichkeit nicht.“
Hoffnung
und Zuversicht
Dass Häfner-Becker aber jemand ist, der die anderen, gerade die, die mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben oder am Rand stehen, sehen und meinen wird, ist etwas, das die Feiergemeinde als Sicherheit mit nach Hause nahm. Und es ist etwas, das schon jetzt Hoffnung und Zuversicht erzeugt.
Pfarrer Dr. André Golob von der altkatholischen Kirche freute sich auf die Zusammenarbeit in der ACK, der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen, weil er sicher sei, dass mit der Dekanin auch das Streben nach Austausch mit jüdischen Mitbürgern, aber auch mit Muslimen vorangetrieben werden könnte: „Etwas, das in Zeiten der Rückkehr des Völkisch-Nationalen von ungeheurer Wichtigkeit ist“.
Standfestigkeit
und Beharrlichkeit
Auch das sei ein Bemühen, das Standfestigkeit und Beharrlichkeit kosten wird, weshalb ein Satz von Andrea Rosner, der stellvertretenden Landrätin, durchaus von besonderer Wichtigkeit ist: „Wir hatten in Hanna Wirth eine starke Frau als Dekanin“, sagte sie in ihrer kurzen Ansprache. „Wir sind froh, in Dagmar Häfner-Becker wiederum eine starke Frau bekommen zu haben.“