Rosenheim – „Die auch noch?“ Bezirkstagspräsident Josef Mederer und Rosenheims Zweiter Bürgermeister Anton Heindl waren sich einig: Der Start der Suchthilfeeinrichtung „Neon“ vor zehn Jahren war kein Selbstläufer. In ihren Grußworten anlässlich einer Geburtstagsfeier in den Räumen der Einrichtung in der Ruedorfferstraße erzählten sie, dass in ihren Gremien durchaus intensiv und kontrovers über eine mögliche Förderung diskutiert worden sei. Schließlich gab es in Rosenheim ja bereits andere Suchthilfeeinrichtungen und Neon war eigenständig, kein Bestandteil einer der großen Sozialhilfeträger.
Konzept hat
Mederer überzeugt
Den Ausschlag habe dann, so erzählte Josef Mederer, das Konzept gegeben. Und bei der Förderung durch den Bezirk wohl auch die Tatsache, dass dieses Konzept im Bezirkstagspräsidenten jemand fand, der mit den darin enthaltenen Ideen auf einer Wellenlänge lag: „Suchtberatung muss immer von der Befindlichkeit des Betroffenen her gedacht werden, wobei dieser nicht als entscheidungsbeeinträchtigter ,Delinquent‘ zu sehen ist, sondern als einer, dem auf Augenhöhe begegnet werden muss.“ So könnte man nach Ludwig Binder, einem der Neon-Geschäftsführer, einen der wesentlichen Grundsätze des Konzeptes zusammenfassen.
Und er bringt ein praktisches Beispiel: Dank einer aufgeschlossenen Justiz habe man bei Neon schon sehr früh von den Gerichten Abhängige zur Beratung zugewiesen bekommen. „Die saßen dann da und erwarteten in uns einen Teil ihres Strafvollzugs. Behandelt haben wir sie aber wie alle anderen auch, das heißt, wir stellten zunächst ganz ergebnisoffen die Frage, wo’s hingehen soll mit ihrem Konsum“.
Für Mederer steckt darin ein entscheidender Punkt: Sucht nicht als persönliches Versagen zu sehen, als etwas das man selber im Griff haben könnte, weshalb man, wenn man es nicht hat, Schuld auf sich lädt, sondern als Krankheit.
Nicht Versagen,
sondern Krankheit
Das sei, so der Bezirkstagspräsident, mittlerweile zwar fast schon ein Allgemeinplatz, aber einer der häufig Worthülse bleibe, das tatsächliche Denken sei nach wie vor oft ein anderes. Auch deshalb wurde er nicht müde, in seinem Grußwort die Gleichsetzung von Sucht als Krankheit immer wieder zu betonen.
Hartnäckigkeit ist auch bei den 17 Mitarbeitern von Neon eine wichtige Eigenschaft und ein Schlüsselwort für den Erfolg in den vergangenen zehn Jahren. Ein Erfolg, der auf der Geburtstagsfeier durch eine Videobotschaft von Daniela Ludwig, Drogenbeauftragte der Bundesregierung, eindrucksvoll gewürdigt wurde: „Neon eilt ein sensationeller Ruf voraus, der bis ins Gesundheitsministerium gedrungen ist – darauf könnt Ihr Euch wirklich etwas einbilden“. Dieser Erfolg sei nämlich auch das Ergebnis einer zähen Arbeit, mit der es gelang, in den zehn Jahren ein großes Netzwerk an Kooperationspartnern aufzubauen, von einzelnen Ärzten über Krankenhäuser bis zu Sozialeinrichtungen und Krankenkassen, aber auch Polizei und Justiz.
Ziel sei dabei immer, die Gefährdeten möglichst schon dann erreichen zu können, bevor sich, wie es Ludwig Binder nennt, „die Sucht endgültig chronifiziert hat“. Früher, so erzählt er, wurden Betroffene nach einer stationären Entgiftung einfach ent- und damit sich selbst überlassen: „Ohne weitere Hilfe fielen die fast zwangsläufig in die alten Verhaltensmuster zurück“. Heute sei es üblich, dass auf die Entlassung unmittelbar ein Termin bei Neon folge, „die Menschen also weiter einen Ansprechpartner haben und damit so etwas wie eine Halteleine“.
Idealerweise aber setzt Suchthilfe noch früher an, noch bevor sich ein richtiges Suchtverhalten entwickeln kann. Prävention ist das Stichwort und dieses „Vorbeugen“ bezieht sich schon lange nicht mehr auf die klassischen Abhängigkeiten wie Alkohol, Drogen oder Medikamente.
Im Gegenteil. Mit ein Gründungsimpuls für Neon war die Betreuung von Menschen, für die das Internet zur Suchtquelle wird. Ein Betätigungsfeld, das in den letzten zehn Jahren immer wichtiger wurde und von Neon in der Prävention auch immer weiter gefasst wird: „Es geht“, so Ludwig Binder, „ja längst nicht nur um Auswüchse bei Einzelnen, die Digitalisierung erfasst alle und es geht hier darum, frühzeitig alle Risiken und Chancen zu erkennen, die damit verbunden sind“. Hier setzt man bei Neon auf Veranstaltungen in Schulen, bietet darüber hinaus auch vielfältige Kurse und Schulungen an.
Chancen und Risiken zu kennen und abwägen zu können – das ist überhaupt für Neon ein Begriff einer modernen Prävention, bei der es nicht mehr um Warnung und Abschreckung im Sinne von alles oder nichts geht. Sondern um einen verantwortungsvollen Umgang mit allen potenziellen Suchtmitteln mit dem Ziel, einen genussvollen Umgang zu erlernen.
Chancen und Risiken
kennen und abwägen
Ein für manche wohl ungewohnter Gedanke, doch, wie Bezirkstagspräsident Mederer meinte: Über manches muss man einfach mal auch mutig nachdenken, mit der Bereitschaft, über den einen oder anderen Schatten zu springen. Dass Neon dies in den vergangenen zehn Jahren immer wieder tat und dass die Einrichtung genügend Personen und Institutionen fand, die das unterstützten, macht letztendlich ihren Erfolg aus: Neon, wie Zweiter Bürgermeister Anton Heindl sagte, ein nicht mehr wegzudenkender Baustein im Sozialgefüge der Stadt und des Landkreises.