Rosenheim/Landkreis – Das verspricht einen Wahlabend voller Spannung: Gleich neun Kandidaten wollen am Sonntag die Nachfolge von Wolfgang Berthaler (CSU) als Rosenheimer Landrat antreten. Der ehemalige Flintsbacher Bürgermeister tritt aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr an.
Also gibt es zum dritten Mal hintereinander ein neues Gesicht auf dem Chefsessel im Landratsamt. Zuvor hatte Dr. Max Gimple (1984 bis 2008) ein Vierteljahrhundert Rosenheimer Landkreis-Geschichte entscheidend geprägt. Das wird bei einem Streifzug durch fast 50 Jahre Kommunalpolitik in der Region deutlich.
1972: Gebietsreform
und Visionär Knott
1972, ein spannendes Jahr: Im Zuge der von Diskussionen und Misstönen begleiteten Gebietsreform wird der Kreis Rosenheim deutlich größer, dafür verschwinden die Altlandkreise Wasserburg und Bad Aibling. 66,5 Prozent der Wähler trauen es Georg Knott am ehesten zu, das neue, große Gebilde in eine gute Zukunft zu führen. Dr. Werner Keitz (29) von der SPD) kommt auf 31,1 Prozent.
Knott, im Zweiten Weltkrieg im NS-Widerstand aktiv (siehe Kasten), gilt schon damals als Pionier in Sachen Nachhaltigkeit. Als Landrat macht er sich besonders für den Schutz und die Schaffung von Erholungsgebieten verdient. Kein zweiter Landkreis in Bayern gebe hierfür so viele Mittel aus, schreiben die OVB-Heimatzeitungen anerkennend. „Die Sicherung und den Ausbau von Erholungs- und Wanderwegen sehe ich als wichtige fremdenverkehrsfördernde Maßnahmen an“, betont Knott nach seiner Wahl.
1978: Paukenschlag
und FJS in Bergen
Josef Neiderhell (58), bislang Landrats-Stellvertreter, wird mit einem Paukenschlag Knotts Nachfolger als Chef im Landratsamt. Mit 69,2 Prozent übertrifft er deutlich das 1972er-Ergebnis von Seriensieger Knott, der sich nach drei Jahrzehnten in den politischen Ruhestand verabschiedet. Herausforderer Dr. Werner Keitz (SPD) ist mit 30 Prozent erneut chancenlos.
Bei einer Beteiligung von 74,5 Prozent ist die CSU die große Siegerin: Im 70-köpfigen Kreistag steigern die Schwarzen ihre Dominanz von 38 auf 46 Sitze, im Rosenheimer Stadtrat haben sie erstmals die absolute Mehrheit. Der CSU-Zuwachs von fast zehn Prozent im Landkreis auf nun 63,9 liegt deutlich über dem Landes-Schnitt, dagegen fällt die SPD von 32 auf 24,6 Prozent – ihr bisher schlechtestes Ergebnis im Landkreis.
Hohen Bekanntheitsgrad weit über den Kreis Traunstein hinaus erringt indessen ein Kandidat aus Bergen-Öd, der ein Mandat im Bergener Rat holt – nicht nur, weil er Kirchenpfleger und Vorsitzender im Stockschützenverein ist. Sein Name: Franz-Josef Strauß.
1984: Gimple siegt, Kloo überrascht
Weil Josef Neiderhell altersbedingt nicht mehr kandidieren darf, bekommt Rosenheim erneut einen neuen Landrat. Dr. Max Gimple (43). Als Jurist und Abteilungsleiter für Kommunalaufsicht und Schulangelegenheiten kennt der Halfinger die Nahtstelle zwischen Politik und Verwaltung schon beim Amtsantritt recht gut.
Mit einem Anteil von 65,1 Prozent hält Gimple den Bad Feilnbacher SPD-Gegenkandidaten Max Falter (31,2) klar auf Distanz. Nur in Kolbermoor rückt Falter (48 Prozent) ganz knapp an Gimple (50) heran. Dort gibt es eine faustdicke Überraschung: Peter Kloo (SPD) drängt den Kolbermoorer CSU-Bürgermeister Erwin Huber aus dem Amt. Im Kreistag verliert die CSU wieder drei Sitze.
1990: Junge Kreisrätin
namens Ilse Aigner
Nicht mit 66 Jahren, sondern mit 66 Prozent startet Gimple in seine zweite Amtsperiode, während die Landkreis-SPD die 18,8 Prozent für Hajo Rederer aus Bernau mit Ernüchterung zur Kenntnis nimmt. Was noch niemand ahnt: Alle folgenden Sozialdemokraten werden bis 2014 noch schlechter abschneiden.
Einen Triumph feiert die SPD aber doch. Denn in Bad Aibling ist für den CSU-Kandidaten Jupp Walter (26,8 Prozent) nichts zu holen. Dr. Werner Keitz (SPD, 73,2) hängt ihn ab – „ein haushoher Wahlsieg“, titeln die OVB-Heimatzeitungen.
Im Kreistag büßt die CSU (51,3 Prozent) weitere sechs Sitze ein und kommt „nur“ noch auf 37 Mandate. Eines holt sich die junge Ilse Aigner (26) aus Feldkirchen-Westerham. Die SPD fällt von 17 auf 14, die Republikaner sind nun fünfköpfig als Fraktion vertreten.
1996: Süßes, Saures und Daxenberger
Zum ersten Mal gibt es bei der Landratswahl ein Kandidaten-Quintett – doch die Konkurrenz belebt das Geschäft nur beim Amtsinhaber. Wieder packt Gimple ein paar Prozent drauf. Diesmal sind es 2,7.
Der alte und neue Landrat, sonst kein Freund von großen Worten, spricht von einem „Traumergebnis – ein ganz spezielles Bonbon von den Landkreis-Bürgern“. Hajo Rederer, Chef der SPD-Kreistagsfraktion, muss dagegen erneut eine bittere Pille schlucken. Mit großer Enttäuschung registriert er seine mageren 16,2 Prozent – und erklärt sie unter anderem mit der Verkehrspolitik seiner Partei, die in der Region so manches Straßenbauprojekt ausbremsen will.
Dafür setzen die Grünen ihre ersten kommunalpolitischen Akzente. In Rosenheim bieten sie mit Else Huber erstmals eine Landratskandidatin auf, deren 6,7 Prozent als Achtungserfolg verbucht wird. Für eine Sensation sorgt aber im Nachbarlandkreis Traunstein Sepp Daxenberger (34) als erster Grüner Bürgermeister Bayerns. Der Landwirt holt in Waging schon im ersten Wahlgang 46,7 Prozent – so viele wie CSU und Freie Wähler zusammen.
Im Kreistag kann Gimple noch leichter regieren. Es bleibt bei der absoluten Mehrheit der CSU, die wieder einen Sitz auf nun 38 hinzugewinnt. Dass es bei einer Stichwahl auf jede Stimme ankommen kann, zeigt sich in Raubling: Dort wird Josef Neiderhell mit 50,08 Prozent neuer Rathaus-Chef – Heinz Rothdauscher (SPD) liegt nur sieben Stimmen dahinter.
2002: Die CSU lässt
Rekorde purzeln
Eine Wahl wie gemalt für die CSU: Am Wahlabend jagt eine Erfolgsnachricht die andere. Gimple fährt bei seiner vierten Kandidatur mit 72 Prozent das beste Ergebnis eines Rosenheimer Landrats aller Zeiten ein, Gabriele Bauer packt es in Rosenheim trotz vier Mitbewerbern im ersten Anlauf und wird die erste Frau an der Spitze der Stadt. In Raubling zeigt Josef Neiderhell, dass er es auch anders kann: 85,1 Prozent im ersten Wahlgang bedeuten das mit Abstand beste Ergebnis aller Bürgermeister, die einen Gegenkandidaten hatten. Nebenbei hat die CSU nun auch noch 41 von 70 Sitzen im Kreistag.
Doch es gibt auch Erfolge für die Konkurrenz. In Prien muss Lorenz Kollmannsberger (CSU) nach 24 Jahren überraschend seinen Stuhl räumen. Christian Fichtl (Freie Wähler) gewinnt die Stichwahl mit 53,1 Prozent.
Auch in Kolbermoor ist wieder Stichwahlzeit. Peter Kloo (SPD) gewinnt hauchdünn mit 67 Stimmen Vorsprung gegen Günther Zellner (CSU). In Wasserburg hat nach 30 Jahren wieder ein SPD-Mann das Sagen: Der 39-jährige Richter Michael Kölbl (53,3 Prozent) macht an der Innschleife das Rennen vor Oliver Winter (CSU/Block) mit 40,7.
2008: Emma wirbelt
alles durcheinander
Im März 2008 erlebt die Region ein ebenso denkwürdiges wie turbulentes Wahl-Wochenende. Erst bläst das Sturmtief Emma Dächer von den Häusern und entwurzelt Bäume, dann wird die kommunalpolitische Landschaft durcheinander gewirbelt. So mancher Platzhirsch wird aus seinem Revier gefegt. Acht amtierende Bürgermeister – so viele wie nie zuvor – müssen in die Stichwahl.
Mehrere schwarze Rathaus-Chefs werden abgewählt – darunter Rudolf Zehentner (CSU), dem in Stephanskirchen mit 50,4 Prozent 25 Stimmen fehlen. Die Priener wählen Christian Fichtl, den Überraschungssieger von 2002, inzwischen zur CSU gewechselt, gleich wieder ab. Der parteilose Kulmbacher Stadtkämmerer Jürgen Seifert, Monate zuvor per Zeitungsannonce als Kandidat gesucht und gefunden, macht mit 62,7 Prozent in der Stichwahl die Sensation perfekt.
Kloo und Kölbl bestätigen ihre Erfolge von 2002 in Kolbermoor und Wasserburg zwar eindrucksvoll – aber sie sind in ihren SPD-Reihen die einzigen Gewinner weit und breit. Die Roten verlieren immer mehr an Boden – im Kreistag, im Rosenheimer Stadtrat und in vielen Gemeinden.
Strahlender neuer Landrat ist Josef Neiderhell, Sohn des namensgleichen Altlandrats (1978 bis 1984) und bislang Bürgermeister in Raubling, der größten Gemeinde im Inntal. Die Sozialdemokraten machen auch bei der Landratswahl keinen Stich. Roland Schmidt aus Kiefersfelden kommt nicht annähernd an das Resultat des „hemdlosen“ Dr. Manfred Gerner heran, der dem übermächtigen Gimple 2002 mit seiner „Für-den-Landkreis-gebe-ich-mein-letztes-Hemd-Kampagne“ gegen die umstrittene Stimmkreisreform immerhin 16,6 Prozent abgeknöpft hatte.
2014: 684 Stimmen
fehlen Berthaler
2014 hört Neiderhell aus familiären Gründen auf – und es kommt zu einem Novum: Erstmals benötigt ein CSU-Landratskandidat zwei Anläufe. Sepp Hofer (Freie Wähler) erzwingt eine Stichwahl, weil Wolfgang Berthaler (49,4 Prozent) 684 Stimmen zur absoluten Mehrheit fehlen. Alexander Molitor bleibt als erster SPD-Bewerber unter der Zehn-Prozent-Marke, auch im neuen Kreistag fallen die Roten (acht Sitze) hinter die Grünen (neun) zurück. Die Freien Wähler – nicht zu verwechseln mit den Parteifreien/ÜWG – holen sich im ersten Anlauf gleich sechs Mandate.
Abgewählt wird im Inntal nach der Neubeurer Kastanien-Posse Bürgermeister Josef Trost (CSU) – ebenso wie sein Parteikollege Werner Weyerer in Aschau. Und: 18 Jahre nach dem Coup des 2010 verstorbenen Sepp Daxenberger in Waging hat nun auch der Kreis Rosenheim seinen ersten grünen Bürgermeister der Geschichte: Georg Reinthaler triumphiert in der Stichwahl gegen Peter Windmaier (CSU).