Traunstein/Rosenheim – Auf die Spur einer Bande, die bundesweit mit dem „falsche Polizisten“-Trick Geld und Gold im Wert fast 800000 Euro erbeutete, führte die Ermittler eine Tat in Rosenheim. Bei Telefonüberwachungen stießen die Fahnder auf kriminelle Aktivitäten auch in München, Worms und Norddeutschland. Ein 34-jähriger „Abholer“ als Haupttäter und zwei Angeklagte, die ihn zu den Tatorten kutschierten, müssen sich derzeit vor der Zweiten Strafkammer am Landgericht Traunstein mit Vorsitzendem Richter Erich Fuchs verantworten.
In Rosenheim wurde ein betagtes Ehepaar am 13. Februar 2019 Opfer. Ein „Keiler“ aus der Türkei hielt die Senioren als „Polizeibeamter Michael Kur“ nachts eineinhalb Stunden an der Leitung. Er erzählte von einem Einbruch und von Täterfestnahmen in Kindergartennähe. Andere Bandenmitglieder befänden sich auf freiem Fuß. Die Polizei werde die Goldmünzen des Paars abholen und sicher verwahren.
Der Ehemann hatte Zweifel und wurde von dem „Keiler“ aufgefordert, sich unter „110“ zu erkundigen. Der Angerufene glaubte danach, tatsächlich mit dem Notruf verbunden zu sein – was aber nicht stimmte, wie die Ermittlungen der Kripo ergaben. Als der alte Herr von einer anderen Männerstimme hörte, dass alles seine Richtigkeit hatte, legte er seine 49 Goldmünzen im Wert von 13000 Euro auf die Treppe vor dem Haus. „Wir hatten keine Zeit, nachzudenken. Wenn ich mit meiner Frau sprechen wollte, hielten die mich wie gefangen“, äußerte der Ehemann bei der Kripo.
Beamte der KPI Zentralaufgaben am Präsidium Oberbayern Süd erfuhren von dem Raubzug in Rosenheim und starteten ihre akribischen Ermittlungen, die zu mehreren Fällen in München in der gleichen Woche und den weiteren Fällen der Anklage von Staatsanwalt Dr. Axel Walz führten. Alle Taten waren dem Hauptangeklagten, einem Mechatroniker aus Bremen, zuzuordnen. Mitte Juni 2019 durchsuchten Kripoleute seine Wohnung, zeitgleich Kollegen die Räume der Mitangeklagten in Bremen und Salzgitter. Der Grund: Der führerscheinlose Hauptangeklagte hatte für die Fahrten im Wechsel eine 32-jährige Bekannte und einen 34-jährigen Jugendfreund angeheuert.
Bandenstruktur
im Fokus
Der Kriposachbearbeiter informierte über die Bandenstruktur mit „Keilern“, „Logistikern“ und „Abholern“, die in das jeweilige Gebiet in der Bundesrepublik entsandt und in Hotels einquartiert würden. Die „Keiler“ suchten telefonisch in der Region nach Opfern. Während die Leute unentwegt am Telefon gehalten würden, würden die „Abholer“ zu ihnen geschickt.
Nach dieser Masche fielen den Angeklagten in acht Tatkomplexen enorme Werte in die Hände, darunter allein zweimal Bargeld, Gold und Münzen im Wert von jeweils um die 250000 Euro. Eine alleinstehende Dame in Zeven wurde im Februar 2019 in Telefonaten manipuliert, ihr eigenes Vermögen samt Wertpapieren und Lebensversicherungen sowie das ihres 100 Jahre alten, in einem Heim lebenden Vaters in 2,6 Kilogramm Gold umzutauschen.
Das Gold müsse zu ihr nach Hause geliefert werden. Ein „Herr Bauer“ werde beim Transport zum Schließfach in der Sparkasse helfen, hieß es. Der Hauptangeklagte, als Handwerker getarnt, nahm das Gold im Malereimer mit. Den Kripobeamten gegenüber sprach die Frau später von „einer Unverschämtheit“. Sie sei behindert, gehe am Stock. Der Betrug sei für sie „furchtbar“ gewesen, auch wegen ihres gesundheitlich angeschlagenen Vaters.
Weniger tragisch nahm eine 82-Jährige aus München den hohen Verlust von einer Viertelmillion Euro. Geld sei „halt Papier“, sagte sie zu den Vernehmungsbeamten. Der Frau war von dem „Keiler“ suggeriert worden, ihr Geld sei auf der Bank nicht mehr sicher nach Falschgeldauszahlungen. Deshalb räumte sie ihre Konten ab. Weisungsgemäß händigte sie dem „Abholer“ am 12. Februar 2019 gegen das Kennwort „Gelbe Rose“ alles Geld, dazu noch Münzen und Geldbörsen in zwei Schuhkartons aus. Eine Quittung erhielt sie nicht zu ihrem Bedauern, aber eine Telefonnummer „für Nachfragen“.
Der Prozess wird am Montag, 16. März, um 9 Uhr, fortgesetzt.