„Größter Eingriff meines Lebens“

von Redaktion

Wie Menschen an der Grenze den Katastrophenfall erleben

Kiefersfelden – Bayern macht dicht! Und Tausende Menschen müssen auf einmal improvisieren. Vor allem Reisende standen am Sonntagabend vor Überraschungen. Die Züge auf Tiroler Seite, sie fahren nur noch bis Kufstein. Und auf bayerischer Seite fährt die Bahn erst ab Kiefersfelden. Das merkten viele Reisende gegen 22 Uhr am Sonntag. Von ihnen waren Geistesgegenwart, Geduld und Ausdauer gefragt. Hunderte bewegten sich paarweise oder in Grüppchen zu Fuß über die Grenze. Sah wie Flucht aus, wurde aber von vielen Urlaubern als kleines Abenteuer interpretiert. Immer wieder zu sehen: Reisende, die sich beim Marsch über die Grenze mit dem Smartphone selbst ablichten.

Ein Fußmarsch von
bis zu fünf Kilometern

Die Urlauber, fast ausschließlich waren es Touristen, die ein Wochenende oder einige freie Tage in Tirol verbracht hatten, mussten vom Bahnhof Kufstein zu Fuß gut fünf Kilometer nach Kiefersfelden gehen, und das mit teilweise beachtlichem Gepäck. Wer konnte, ergatterte ein Taxi und ließ sich bis zum Grenzübergang Kiefersfelden-Staatsstraße kutschieren. Dort war allerdings Endstation – die Taxifahrer mussten umkehren.

Bereits am Freitagabend war Tirol zum Risikogebiet erklärt worden. Am nächsten Tag bereits hatten Rückreisende an der Grenze Hinweistafeln mit Leuchtschrift gesehen: Wer aus Italien, Österreich, der Schweiz komme – bitte zwei Wochen in freiwilliger Quarantäne zu Hause bleiben.

Am Montag blieb die Grenze für die meisten Fahrzeuge aus Österreich dicht. Die Beamten der Bundespolizei kontrollierten konsequent jedes Auto, während ihre österreichischen Kollegen in der Gegenrichtung, in Richtung Österreich, Autos durchwinkten. Eine Gruppe von Müttern mit Kleinkindern, die aus nahezu dem gesamten Bundesgebiet in Tirol zu einem Treffen von ehemaligen Musikstudenten zusammengekommen waren, wurden auf der Rückreise von „Corona“ überrascht. „Wir nehmen es sportlich und bleiben gut gelaunt“, sagte eine der jungen Frauen. „Es ist zwar sehr umständlich mit dem Gepäck und den Kinderwägen. Aber den zwei Kilometer langen Spaziergang zum Bahnhof Kiefersfelden schaffen wir auch noch. Ist ja schön hier.“

Viele Menschen sehen ihre Planungen über den Haufen geworfen. Paulina Lohmann aus Dortmund etwa. Sie arbeitet in Kufstein in der Gastronomie, wollte nach Hause, um sich für einen neuen Job zu bewerben. Das kann nun noch dauern. „Leider muss ich dann 14 Tage in Quarantäne“, sagte sie dem Reporter der OVB-Heimatzeitungen. „Damit versäume ich zwei Vorstellungsgespräche.“

Planungen über den
Haufen geworfen

Hier sein oder dort bleiben? Die Zwickmühle, in der sich Gabi Bichler sieht, hätte noch vor Kurzem niemand für möglich gehalten. „Eigentlich lebe ich mit meinem Lebensgefährten im Zillertal“, sagt sie. „Nun musste ich mich entscheiden, ob ich die nächsten Wochen bei meiner Familie in Kiefersfelden oder bei meinem Partner im Zillertal sein will.“ Schwierig sei das, „aber meine Familie braucht mich momentan dringender“.

Für manche Menschen gehen die Probleme übers Private hinaus. Hartmut Dünkel von der Kieferer Möblstubn hat viele Kunden aus Tirol. „Bis gestern habe ich noch alles ins Nachbarland geliefert, was möglich war. Sollte sich die Grenzschließung länger hinziehen, muss ich über Kurzarbeit oder gar Reduzierung meines Personals nachdenken.“

Benno Steinbrecher aus Brannenburg wiederum ist Reiseunternehmer. „Zurzeit haben wir gerade noch einen Bus auf der Straße“, sagt er, „im Liniendienst“. Er überlegt bereits, einen Kredit aufzunehmen, um die Einbrüche abzufangen und seine Mitarbeiter zu halten. Schweren Herzens hat Steinbrecher als Vorsitzender der Brannenburger Tafel die Ausgabe von Lebensmitteln an Bedürftige eingestellt. Die Regale seien eh leer, „und meine Mitarbeiter bei der Tafel sind zwischen 70 und 80, die darf ich nicht gefährden“.

In Kiefersfelden ist
ungewohnte Ruhe

Handel und Wandel sind heruntergefahren und aufs Nötige reduziert. In Kiefersfelden ist es „so ruhig, wie wir uns das eigentlich einmal wünschen würden“, wie Bürgermeister Hajo Gruber sagt. Kaum Verkehr, keine Parkplatznot, mancher Einheimischer sieht seine Nerven geschont. Stefanie Müller aus Mühlbach etwa ist, das sagte sie dem OVB-Reporter, „noch nie so entspannt zum Einkaufen gekommen wie heute“.

Davon mal abgesehen, sieht Hajo Gruber im Ausnahmezustand den „größten Eingriff, den ich in meiner Lebenszeit erlebt habe“. Damit verbindet sich bei ihm aber auch die Hoffnung auf Einsicht und ein neues Gefühl der Solidarität. „Die Leute sind bereit, wichtige Entscheidungen mitzutragen“, sagt er, „die Menschen erkennen den Ernst der Lage“. Und, so fügt er hinzu, sie stehen einander bei.

Es gab mal eine Zeit vor Corona. Wie die Zeit mit Corona und die danach aussehen wird, weiß noch niemand so recht. Die strengen Beschränkungen könnten länger andauern, schwant es Hajo Gruber. „Aber wenn das dazu führt, dass es weniger Tote gibt, ist es absolut in Ordnung.“

Romed-Kliniken verschärfen Regeln

Nun wirklich nur noch in den dringendsten Fällen: Die Romed-Kliniken verschärfen die Besuchsregeln weiter. „Aufgrund der dynamischen Entwicklung der COVID-19-Situation müssen zum Schutz unserer Patienten und Mitarbeiter die Besuchsmöglichkeiten weiter eingeschränkt werden“, sagt Romed-Geschäftsführer Jens Deerberg-Wittram.

In den Romed-Kliniken sind somit keine Krankenbesuche mehr möglich. Ausnahmen gelten nur noch für nahe Angehörige von Patienten beispielsweise der Kinderklinik, der Entbindungsstation sowie der Palliativstation und in anderen gut begründeten Notfällen. Besucher, die Kontakt zu Covid-Erkrankten hatten oder Krankheitssymptome wie Husten, Schnupfen oder Fieber aufweisen, dürfen die Klinik prinzipiell nicht betreten. Der Zutritt zum Romed-Klinikum Rosenheim – wie auch in den Krankenhäusern Bad Aibling, Prien und Wasserburg – ist für Patienten und Besucher nur noch über den Haupteingang möglich, wo auch eine Eingangskontrolle durchgeführt wird.

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