Rosenheim – „Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.“ Pfarrer denken derzeit dabei nicht mehr nur an Jesus, sondern auch an die Gefahr: Wo Menschen zusammenkommen, ist die Corona-Furcht unter ihnen. Alles ist runtergefahren worden. Das Leben in den Gemeinden hat sich fundamental geändert. Woraus besteht denn die Gemeinschaft der Gläubigen, wenn jeder für sich zu Hause bleibt?
Sorge um die Angehörigen
Telefontermin mit den OVB-Heimatzeitungen. Daniel Reichel, Dekan für Rosenheim, Bad Aibling und Chiemsee, kommt gerade von einer Videokonferenz. „Es herrscht noch immer Verunsicherung“, sagt Daniel Reichel, „Man spürt, wie sich die Menschen Sorgen um Familienangehörige machen.“
Daniel Reichel ist nicht nur Dekan, er ist auch Pfarrer der Stadtteilkirche am Wasen. An den Türen dort hängen gelbe Zettel. „Coronakrise – Wir sind für Sie da“ steht darauf, dazu die Nummer 0162/9880323 zum Abreißen.
Die Zahl der Anrufe bleibe deutlich unter den Erwartungen. „Ich kann nicht sagen, dass wir im Moment die ersten Ansprechpartner sind“, sagt Reichel. Noch befänden sich die Menschen in der Phase der Organisation und Planung. Der Gottesdienst fehle in dieser Phase den Menschen nicht so sehr, meint Reichel, „allerdings fangen wir viel durch Hausgottesdienste auf.“ „Wir werden da sein“: Das sei die Botschaft. Über Videochat und Telefon stehe man zur Verfügung. Da die Ausnahmesituation bis über Ostern andauern werde, bereitet Daniel Reichel für die Karwoche „Segenspakte“ vor, mit „sinnfälligen Zeichen“ fürs höchste Fest.
Über Wege des Gebets denkt auch Hannelore Maurer nach. „Menschen benötigen Begleitung, zum Beispiel in der Trauer“, sagt die Gemeindereferentin in St. Nikolaus in Rosenheim. „Es ist wichtig, dass ich mit den Menschen in Kontakt bleibe.“ Man müsse eben übers Telefon miteinander reden. Sie denkt, wie die meisten ihrer Kollegen in der Seelsorge, darüber nach, wie man die Digitalisierung nutzen kann. „Zum Beispiel, ob man Gedanken zum Sonntag via Whatsapp verbreiten kann.“
Andere, wie David Mehlich vom Pfarrverband Obing, sind auf den sozialen Netzwerken wie Facebook und Instagram aktiv. Vertreten ist dort auch die Stadtteilkirche Rosenheim. Und Reichel weist auch auf die Live-
Stream-Angebote des Erzbistums hin. Aber er sagt auch: „Die modernen Medien nutzen unsere Hauptbesucher nicht so sehr.“
„In dieser Form hatten wir das noch nie“, sagt Sebastian Heindl, Stadtteilpfarrer für Rosenheim Nord. Auch für ihn lautet das Motto „da sein für andere, ohne unbedingt anwesend zu sein“. „Die Kirchen sind offen, drinnen liegen Impulse zur Fastenzeit aus, dazu Gebetstexte und geistliche Literatur.“ Und: „Wenn jemand in Bedrängnis ist, bieten wir Termine für Gespräche an.“
Er vermisst die Sakramente, natürlich, aber – was aufgeschoben werden kann, wird aufgeschoben. „Die Gläubigen sind von der Sonntagspflicht enthoben, es gibt auch die Form der geistigen Kommunion“, sagt Heindl. Auch Daniel Reichel muss improvisieren. Beichte über Telefon sei an sich „unüblich“, man wisse auch nie, wer zufällig in Hörweite sei. „Ich würde aber sagen, jetzt muss das möglich sein.“
Die evangelische Dekanin Dagmar Häfner-Becker sieht Kreativpotenzial. „Man denkt über vieles nach, wie man mit Gott und der geistigen Gemeinschaft verbunden bleiben kann.“ Viele Gemeinden laden beim Läuten der Glocken zur Besinnung ein. So auch die evangelische und katholische Kirchengemeinde in Brannenburg und Umgebung. Der Mensch wisse dann, dass in diesen Minuten auch andere kurz innehalten und ein Gebet sprechen, glaubt der evangelische Pfarrer Thomas Löffler. Sein katholischer Kollege Helmut Kraus fügt hinzu: „Eine Kerze anzünden, ein Gebet sprechen, das ist jederzeit möglich.“ Eine einheitliche Minute fürs Glockenspiel gibt es nicht. Dekan Reichel verweist daher auf eine Anweisung des Erzbistums, dass die Glocken sonntags um kurz vor 10 Uhr ertönen sollen. Er möchte weiter auf Koordination drängen. „Wir müssen uns abstimmen, damit die Menschen wissen, mein Pfarrer feiert die Osternacht um 21 Uhr und nicht meinetwegen um fünf Uhr morgens.“
„Werden verändert aus der Krise gehen“
Werden Werte wieder wichtiger? „Corona wird die Gesellschaft nachhaltig verändern“, glaubt Hannelore Maurer, Gemeindereferentin der Stadtteilkirche Rosenheim-Inn. „Weil die alten Werte wieder wichtig werden. Man wird zusehen, dass man Zeit miteinander verbringt.“ „Wir werden verändert aus dieser Krise herausgehen“, glaubt auch Dagmar Häfner-Becker. Nachdenken darüber, wie man als Gemeinschaft leben wolle – das könnte auch im Alltag wichtiger werden. „Wir sind doch eine sehr stark individualisierte Gesellschaft“, so Häfner-Becker. So kann man die Krise auch als Chance sehen – vorausgesetzt, man ist nicht in Lebensgefahr.