Sohn sieht „grobe Fahrlässigkeit“

von Redaktion

Sie kämpft weiter um ihr Leben: Eva T. (63) aus Kolbermoor, die sich im Romed-Klinikum mit dem Coronavirus infiziert hat. Ihr Sohn wirft der Klinik grobe Fahrlässigkeit vor. Und es stellt sich die Frage: Sollten Risikopatienten nicht grundsätzlich im Einzelzimmer untergebracht werden?

Rosenheim – Mitte April musste sich Eva T., die an der Autoimmunerkrankung „Morbus Wegener“ leidet, in stationäre Behandlung geben – und infizierte sich mit dem neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 (wir berichteten). Seither kämpft die 63-Jährige um ihr Leben. Ihr Sohn Alexander Luttsteck wirft der Klinik nun grobe Fahrlässigkeit vor und droht mit Strafanzeige.

Luttsteck: „Wildes Patientenroulette.“

„Wildes Patientenroulette, keine Quarantäne bei Neuaufnahmen und keine regelmäßigen Tests des Klinikpersonals klingt für mich erstmal nach (grober) Fahrlässigkeit. Man sollte doch meinen, dass einem Chefarzt beziehungsweise der Klinikleitung klar sein dürfte, dass ohne entsprechende Maßnahmen eine Durchseuchung der Klinik aufgrund der Virulenz kaum verhindert werden kann“, macht der Sohn seinem Ärger Luft.

Was Luttsteck, der wie Eva T. in Kolbermoor lebt, besonders umtreibt: Wieso war seine Mutter als Risikopatientin nicht in einem Einzelzimmer untergebracht? Schließlich war ihr Immunsystem aufgrund ihrer Krankheit im Keller.

Ein Einzelzimmer für Risikopatienten – dem will auch das Staatliche Gesundheitsamt Rosenheim nachgehen. Die Behörde will den Vorfall nun zum Anlass nehmen, „eine fachliche Bewertung bei den vorgesetzten Behörden einzuholen, bei welchen Ausprägungen von Krankheitsbildern mit unterdrücktem Immunsystem eine solche Einzelzimmerversorgung aufgrund eines erhöhten Erkrankungsrisikos zwingend notwendig ist“. Das kündigte der Leiter des Gesundheitsamtes, Dr. Wolfgang Hierl, auf Anfrage an. Denn bis dato: Ist die Unterbringung von Risikopatienten im Einzelzimmer keine Pflicht. Und es wäre auch eine gewisse „Herausforderung“ für die Kliniken, wie Hierl zu bedenken gibt. Schließlich müssten aktuell 25 Prozent der Bettenkapazität für Covid-19-Patienten vorgehalten werden.

Als „praktisch unmöglich“ sehen die Romed-Kliniken eine Einzelzimmer-Regelung für Risikopatienten. „Aufgrund unseres Status als Schwerpunktversorger sind die meisten unserer Patienten Risikopatienten“, heißt es auf OVB-Anfrage. Romed verweist vielmehr auf die „strikte räumliche Trennung“ von Covid-Bereichen (Bettenhaus 6 plus getrennte Intensivstation) und der Nicht-Covid-Bereiche. Risikopatienten per se zu isolieren, dazu gebe es auch seitens des Robert-Koch-Instituts (RKI) keine Empfehlung, ergänzt Kliniksprecherin Elisabeth Siebeneicher.

Wieso wird beim RKI (Berlin) keine Notwendigkeit für eine derartige Empfehlung gesehen? Das wollten wir von dem Bundesinstitut wissen, das wiederum dem Bundesgesundheitsministerium untergeordnet ist. Die Rückmeldung hinterlässt Ratlosigkeit: „Hier können wir leider nicht weiterhelfen. Vielleicht die Deutsche Krankenhausgesellschaft“, lässt RKI-Sprecherin Susanne Glasmacher lapidar übermitteln.

Bedauern aus dem Gesundheitsamt

Zurück nach Rosenheim: Hier bedauert das Staatliche Gesundheitsamt zwar den „kritischen Gesundheitszustand“ von Eva T. „zutiefst“, will sich aber dennoch nicht zum Einzelfall äußern. Nur so viel: Die Standards an den Romed-Kliniken in Bezug auf Covid-19 seien mit dem Gesundheitsamt abgestimmt. Und weiter: „Die Kollegen gehen nach unserer bisherigen Erfahrung äußerst kompetent und verantwortungsvoll mit Entscheidungen bezüglich der Versorgung ihrer Patienten um.“ Wegen der langen Inkubationszeit könne es allerdings vorkommen, dass „initial unverdächtige Patienten“ erst während des stationären Aufenthalts Covid-19-typische Symptome entwickeln. „Bei Einstufung als Verdachtsfall ist in den Standards eine Isolation im Einzelzimmer vorgegeben, eine Verlegung in den Covid-19-Verdachtsbereich ist geregelt“, erläutert Dr. Hierl. Zum konkreten Fall Eva T. erklärt der Behördenleiter: „Im vorliegenden Fall erfolgte eine Zuverlegung einer weiteren Person in das Zimmer der Patientin nach sorgfältiger Prüfung des Einzelfalls erst nach zweimaliger negativer Testung.“ Für Alexander Luttsteck dennoch ein Unding: „Es ist ja allgemein bekannt, dass Infizierte bis zu 14 Tage keine Symptome zeigen können, aber dennoch ansteckend sein können. Daher auch die allgemein bekannte 14-tägige Quarantäne.“ Wie auch immer die Ansteckung erfolgte: Am 4. Mai war Eva T. positiv auf SARS-CoV-2 getestet worden. Wenige Tage später verschlechterte sich ihr Zustand dramatisch. Sie musste auf die Intensivstation verlegt werden. Was folgte: künstliches Koma, Beatmung und letztendlich die Weiterverlegung ins Universitätsklinikum Großhadern, wo die 63-Jährige nun an der Lungenmaschine ECMO ums Überleben kämpft.

Eva T.‘s Zustand:
unverändert schlecht

Ihr Zustand: unverändert schlecht, wie ihr Sohn mitteilt. Hinzu kommt: Dass ihm das Romed-Klinikum nun doch keine Antworten auf seine Fragen hinsichtlich der Unterbringung seiner Mutter geben will – anders als zuletzt versprochen. Chefarzt Hanns Lohner ließ ihn gestern wissen: „Nach Rücksprache mit unserem Anwalt muss ich Ihnen mitteilen, dass wir eine Schweigepflichtentbindung beziehungsweise eine Vorsorgevollmacht benötigen, bevor wir Auskünfte zur Behandlung machen dürfen.“ Das will Luttsteck nun über das Amtsgericht in Angriff nehmen. Denn: Er will Klarheit – und wissen, ob die Romed-Klinik nicht ihre Sorgfaltspflicht, die seiner Ansicht nach im Corona-Hotspot Rosenheim besonderes Augenmerk verdient hätte, verletzt hat. Oder ob gar grobe Fahrlässigkeit vorliegt. Sollte das der Fall sein, will er strafrechtlich gegen die Klinik vorgehen.

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