Tote Hose im Bordell

von Redaktion

Wie das älteste Gewerbe der Welt mit der Corona-Krise zu kämpfen hat

Rosenheim – Seit Beginn der Corona-Beschränkungen sind Bordellbetriebe geschlossen. Noch ist völlig unklar, wann sie wieder öffnen dürfen. Viele Betreiber und Sexarbeiterinnen sind in ihrer Existenz bedroht. Betroffen davon ist auch Astrid Böhme (50) mit ihrer Rosenheimer Villa.

Das Bordell in Rosenheim ist ein eher kleineres Etablissement mit vier Zimmern. Es steht seit Wochen leer. „Anfangs hielten wir das alle für ziemlich übertrieben“, sagt Böhme. Doch nach und nach wurden es weniger Kunden. Am 14. März kam dann der Shut-Down. Seitdem liegt ihr Geschäft brach, ihre Barfrau musste sie entlassen. Die Damen, die bei ihr Räume mieten und dort selbstständig arbeiten, konnten alle noch rechtzeitig ausreisen, hauptsächlich nach Rumänien.

Anspruch auf
Unterstützung

Immerhin, in Deutschland wären sie auch abgesichert gewesen. Denn wer seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland hat, nachweislich erwerbstätig und hilfsbedürftig ist, hat grundsätzlich einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II, besser bekannt als Hartz IV. Dies bestätigt Armin Feuersinger vom Jobcenter in Rosenheim. Eine kleine Anzahl von Sexarbeiterinnen habe einen Antrag gestellt. Wenig Hilfe für die Frauen, die sonst in Astrid Böhmes Bordell arbeiten. Sie sind nun in ihrer Heimat und wissen nicht, wovon sie leben sollen. Böhme berichtet: „Wir stehen in Kontakt, und ich erlebe, wie es ihnen geht. Schlecht geht es ihnen.“

Das älteste Gewerbe der Welt ist laut Astrid Böhme ohnehin nicht mehr so lukrativ, wie es einmal war. Dating-Portale, aber auch die Konkurrenz großer FKK-Clubs in Österreich hätten den Betrieben in Rosenheim in den vergangenen Jahren schwer zu schaffen gemacht. „Was ich nicht verstehe, ist die Grenzöffnung“, sagt Böhme. Denn in Österreich dürfen Bordelle bereits ab 1. Juli wieder den Betrieb aufnehmen.

Die 50-Jährige steht mit vielen Kunden telefonisch in Kontakt und beschreibt ein fast familiäres Miteinander, bei dem es eben nicht nur um Sex gehe, sondern man sich über alles Mögliche unterhalte: von Politik bis zu persönlichen Sorgen. Zwar lebt Astrid Böhmes Villa fast ausschließlich von Stammkundschaft, dennoch drohe eine Abwanderung von Kunden für Rosenheimer Bordelle, wenn sie nicht mehr öffnen dürfen.

Die Sexarbeit hat in der öffentlichen Wahrnehmung oft noch ein Schmuddelimage, mit dem der Bundesverband sexuelle Dienstleistungen (BsD) aufräumen möchte. Das will auch Astrid Böhme.

Für legale Prostitution wie in ihrem Betrieb seien die Auflagen und auch die Strafen bei Gesetzesverstößen in Deutschland hoch.  Mehrere Bundestagsabgeordnete der Großen Koalition fordern wegen der Infektionsgefahr, Prostitution gänzlich zu verbieten.

Zerstörerische
Verhältnisse?

Den Abgeordneten geht es jedoch um mehr, nämlich einen Stopp der Prostitution und einen generellen Ausstieg von Frauen. Sie sprechen von menschenunwürdigen und zerstörerischen Verhältnissen im Rotlichtmilieu. „Prostituierten muss finanzielle Unterstützung und eine existenzsichernde berufliche Perspektive angeboten werden“, twitterte der Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach (SPD).

Der BsD hat mit einem offenen Protestbrief auf den Aufruf der Politiker reagiert. Besonders wehrt er sich gegen den Generalverdacht, dass Sexarbeiterinnen „Super-Spreader“ werden könnten. Während der BsD in erster Linie Etablissements vertritt, setzt sich der Verein Dona Carmen für die Rechte von Prostituierten ein. Laut Sprecherin Juanita Henning habe man viel aus der Aidskrise in den 1980er-Jahren gelernt. Daher schlägt sie vor, gemeinsam mit Betreibern und Gesundheitsämtern Konzepte zu entwickeln. Geschehe dies nicht, drohten Szenarien wie in Russland. Dort habe man auf HIV mit Verboten reagiert, die bis heute gelten. Die Folge sei eine noch stärkere Ausbreitung der Krankheit gewesen.

Auch Astrid Böhme zeigt sich skeptisch. Es gebe Beispiele aus anderen Ländern wie Italien, die Prostitution verboten hätten. Das hieße aber nicht, dass es sie deshalb nicht mehr gebe, sondern nur die Bedingungen für Frauen und Freier verschlechterten sich. Wenn die legale Prostitution wegfiele, werde es zu mehr Menschenhandel führen, glaubt Böhme. Von der Ausbreitung von Covid-19 ganz abgesehen.

Fälle von illegaler Prostitution seit Beginn der Corona-Pandemie gebe es laut Auskunft des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd keine. Astrid Böhme sieht das etwas anders. Verbotene Wohnungsprostitution in Zeiten von Corona sei ein offenes Geheimnis. Auch in Rosenheim.

Die Sorge, dass bei einem weiter andauernden Berufsverbot nur mehr illegale Prostitution mit schlechteren Bedingungen die Folge sein wird, teilt auch Elke Winkelmann vom Verband BsD. Die Nachfrage sei da, und es werde auch sicherlich jemanden geben, der diese bediene. Aus diesem Grund hat der BsD ein Hygienekonzept entwickelt. Ähnlich wie in der Gastronomie müssten Dienstleister und Gäste einen Mundschutz tragen. Gewisse Dienstleistungen seien dadurch nicht möglich. Dass ohne Schutz eine Infektionsgefahr bestehe, sei nicht erst seit Corona so, sagt Astrid Böhme.

Kontaktdaten
hinterlassen

Der BsD rät außerdem dazu, dass Kunden ihren Namen hinterlassen, um Infektionsketten nachverfolgen zu können. Doch wer lässt schon gerne seine Kontaktdaten im Bordell? Astrid Böhme sieht das eher gelassen. Sie schätzt, dass rund die Hälfte der Kunden das machen würde. Und die andere Hälfte müsse halt wegbleiben: „Es geht auch um meine Gesundheit.“

Nach Auskunft einer Sprecherin des Bayerischen Wirtschaftsministeriums, ist noch völlig offen, wann die Bordelle wieder öffnen dürfen. Die Beantragung von Corona-Soforthilfe ist auch für Betriebe und Selbstständige im Rotlichtmilieu möglich. Genau das hat auch Astrid Böhme getan. Doch nach drei Monaten kommt sie mit der Soforthilfe und ihren Ersparnissen an ihre Grenzen. Sie hat nun einen Antrag beim Bauamt gestellt, einen kleinen Biergarten zu betreiben. Für ihr Geschäft fehlt schlicht die Perspektive und die Planungsgrundlage.

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