„Der Wolf ist vorsichtig“

von Redaktion

Interview Bleibt er oder nicht? Was der Chef des Landesamts sagt

Samerberg/Reit im Winkl – Die Ergebnisse der Gen-Analyse waren eindeutig, mindestens vier Wölfe treiben in Tirol ihr Wesen. Für Reit im Winkl stehen die Ergebnisse noch aus, fest steht jedoch: Der Wolf kommt wieder näher an die Region heran. Ob der Wolf bleibt, ob davon eine Gefahr für Menschen ausgeht, wie man Nutz- und Haustiere schützen kann: Darüber sprachen wir mit dem Chef des Bayerischen Landesamtes für Umwelt (LfU), Claus Kumutat.

Der Wolf ist in Reit im Winkl und an der Hochries Gesprächsthema. Haben Sie Verständnis für die Sorgen der Almbauern?

Almbauern haben die Pflicht, für die Gesundheit ihrer Tiere zu sorgen. Deswegen kann ich die Sorgen selbstverständlich verstehen. Wir werden jede Möglichkeit nutzen, darüber ins Gespräch zu kommen und zu bleiben.

Muss man auch um Rinder oder gar Pferde fürchten?

Ich kenne solche Erzählungen, aber ich kann den Wahrheitsgehalt nicht prüfen. Wölfe ernähren sich normalerweise von wild lebenden Tieren, vom Kleinsäuger bis zum Huftier. Nutztiere jagt er nur dort, wo eine geringe Dichte an wild lebenden Tieren herrscht und die Nutztiere leicht zu erbeuten sind. Der Wolf macht es sich nicht extra schwer.

Das hat er mit dem Menschen gemeinsam, wie auch den Umstand, dass er nicht genug bekommt. Warum hören Wölfe nicht auf zu töten, wenn sie ein Nutztier erlegt haben?

Der Wolf jagt normalerweise fliehende Tiere. Wenn er in Gehege eindringt, in denen die Tiere am Fliehen gehindert sind, dann kann sein Jagdinstinkt allein durch die Bewegungen der in Panik geratenen Tiere ausgelöst werden.

Sollte sich ein Schaf also tot stellen, dann…

Ich habe noch nicht gehört, dass das ein Schaf probiert hätte. (lacht) Normalerweise ist es so: Wenn der Wolf Beute sieht, dann hetzt er sie und tötet sie, den anderen Tieren einer Herde läuft er nicht mehr nach. Das würde unnötig Energie kosten. Dabei ist das Verhalten im Gehege nicht einmal energieeffizient. Aber auf Bewegung reagiert der Wolf instinktiv.

Wie weit kann sich ein Wolf bewegen?

Der Wolf kann in einer Nacht 50 bis 70 Kilometer zurücklegen, im Extremfall sogar 100 Kilometer.

Es wäre möglich, dass er in Reit im Winkl gesichtet wird und am nächsten Morgen Bergwanderer an der Hochries erschreckt?

Theoretisch ja. Es ist nur so, dass der Wolf das gar nicht vorhat. Er ist vorsichtig und weicht Menschen aus. Was nicht heißt, dass er Siedlungen generell meidet. Wenn er dort gerade keine Menschen wahrnimmt, zum Beispiel nachts, kann er auch einmal direkt an bewohnten Häusern vorbeilaufen.

Weil der Mensch nicht in sein Beuteschema passt, oder weil er Angst hat?

Beides. Er hat kein Interesse daran, und er meidet den Menschen, das werden uralte Erfahrungen sein. Sagen wir‘s so: Das ist nicht seine Gegend.

Wie groß ist die Chance oder – aus der Sicht der Almbauern – Gefahr, dass ein Wolf etwa in Reit im Winkl oder an der Hochries eine Wölfin findet und am Ende ein Rudel bildet?

Das ist dem Zufall überlassen. Ein ziehender Wolf, wenn es denn ein Wolf ist, sucht nach einem Revier und lässt sich nieder, wenn er oder sie eine Partnerin beziehungsweise einen Partner findet und wenn das Gebiet groß genug ist und Rückzugsräume bietet. Aber wie gesagt: Das hängt vom Zufall ab.

Welche nicht tödlichen Möglichkeiten gibt es, einen Wolf zu vertreiben?

Man kann seine Tiere zum Beispiel mit Litzen-Elektrozäunen schützen oder mit Elektro-Netzzäunen, wenn sie mindestens 90 Zentimeter hoch sind. Bei Litzenzäunen darf die unterste Litze nicht höher als 20 Zentimeter über dem Boden geführt werden.

90 Zentimeter? Da springt er doch drüber, oder?

Wölfe springen ungern. Sie gehen mit der Schnauze dicht über den Boden und versuchen es lieber unten durch. Wenn sie da einen ordentlichen Schlag bekommen, dann merken sie sich das.

Nun weisen aber die Almbauern darauf hin, dass es im Gebirge Gelände gibt, das zu steil oder zu felsig ist, um Zäune aufzustellen.

Das ist eine Situation, die wir direkt mit den Bauern diskutieren müssen. Wir sind dabei, zu definieren, wo die Grenzen der Zumutbarkeit sind. Wir sind keine professionellen Almbauern, die Klärung erfolgt in der Diskussion mit der Landwirtschaftsverwaltung.

Die Almbauern nicht nur in Reit im Winkl fordern Abschüsse von Wölfen. Ist der Schutzstatus des Wolfes zu hoch?

Nein, er ist nicht zu hoch. Um den Schutz abzusenken, bräuchten wir eine stabile Population. Die Beurteilung dazu liegt unter anderem bei den Experten am Bundesamt für Naturschutz. Und es gibt länderübergreifende Gremien, die entscheiden, wann eine Art wie der Wolf vom Aussterben bedroht ist und wann nicht mehr. Nach meiner Erkenntnis sind wir davon aber weit entfernt.

Vielen Menschen wäre wohler, wenn er einfach weiterzöge…

Unter Umständen hilft das nicht, weil es immer wieder durchziehende Wölfe geben wird. Das Thema Herdenschutz wird bleiben, schon weil wir Nachbarn mit großen Wolfspopulationen haben. Herdenschutz ist daher ein Thema, dessen wir uns offensiv annehmen.

Interview: Michael Weiser

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