Oberaudorf/Rosenheim – „Sie sehen drollig“ aus, sagt Kreisbäuerin Katharina Kern aus Oberaudorf. Aber sie können auch gefährlich werden. Besonders dann, wenn sie gerade frisch gekalbt haben. Heute, am „Ehrentag der Kuh“, der jeden zweiten Freitag im Juli begangen wird, soll das weidende Rind ins Blickfeld gerückt werden. „Eine Kuh ist kein Streicheltier“, sagt Kern.
Mutterkühe haben Beschützerinstinkt
Ein Satz, den sich Wanderer und Touristen zu Herzen nehmen sollten, findet die Kreisbäuerin. Denn jetzt, wo der Bergtourismus corona-bedingt zunimmt, gewinnen Almbauern den Eindruck, dass einige Wanderer den Kühen immer mehr auf die Pelle rücken. „Viele verstehen die Hintergründe nicht“, erklärt Kern. In letzter Zeit habe die Mutterkuhhaltung auf den Almen zugenommen. Und eine Mutterkuh, die mit ihren kleinen Kälbern auf der Weide herumläuft, hat einen ausgeprägten Beschützerinstinkt. Da könne es durchaus vorkommen, dass eine Kuh mal „austickt“.
Auch Christian Tegethoff, Almfachberater im Landkreis Rosenheim, hat das Phänomen bemerkt, dass Kühe „beliebter“ werden und Wanderer immer weniger auf Abstand gehen. Die meisten Wanderer würden direkt durch die Herde laufen – und viele Touristen nutzen die Gelegenheit, um die Tiere zu streicheln oder gar ein Selfie mit ihnen zu machen. Tegethoff hat nach eigenen Angaben auch schon die Beobachtung gemacht, dass Mountainbiker nachts durch die Weiden rasen. „Das stört die Rinder in der Ruhephase.“ Die Konsequenz: Die Kühe können langfristig ihr Verhalten gegenüber Wanderern ändern – und aggressiver reagieren.
„Und um dem Ganzen noch eins draufzusetzen“, so Tegethoff, „gibt es den neuen „TikTok‘-Trend“. Eine Challenge, bei der sich Teilnehmer einen Spaß daraus machen, Kühe zu erschrecken (wir berichteten). Ihm selbst seien noch keine Fälle im Landkreis Rosenheim bekannt. Aber durch die sozialen Medien würden immer mehr Videos von aufgeschreckten Kühen geistern. Ein Unding, wie der Almfachbereiter findet: „Solche Personen haben keinen Respekt vor dem Tier.“
Dennoch gibt es laut Kern nicht nur Anlass für Kritik, sondern auch für Lob: „Vorbildliche“ Wanderer gebe es nämlich genauso. Und manchmal, da sei es auch einfach die Unwissenheit der Leute, die zu unglücklichen Zwischenfällen führen. Vor einem Jahr war sie selbst Zeuge eines Kuh-Ausrasters: Eine ihrer Mutterkühe sei auf einen Wanderer mit Hund losgegangen. Sie sei glücklicherweise in der Nähe gewesen und habe dem Hundebesitzer zugerufen, seinen Vierbeiner fortzuschicken. Den größten Fehler, den man laut Kern machen kann: den Hund auf den Arm zu nehmen. Dreht eine Kuh wegen eines Hundes durch, sollte sich dieser nicht in der Nähe des Menschen aufhalten, sondern weglaufen.
Wanderer seien lediglich „Gäste“
Mittlerweile gebe es auf den Almweiden immer mehr Hinweisschilder, sagt Tegethoff. Ein Signal für Wanderer, ihre Hunde anzuleinen, und im Ernstfall die Leine loszulassen. Generell sollte man einen Bogen um weidende Kühe machen. „Eine Alm ist frei zugänglich, aber in erster Linie Futtergrundlage für die Viecher“, betont Kern. Wanderer seien so gesehen nur „Gast“ auf der Alm – und sollten sich dementsprechend auch so verhalten.
Unrentables Milchgeschäft
In den vergangenen Jahren haben viele Almbauern ihren Milchviehbetrieb aufgegeben, schildert Kern. Für kleinere Betriebe sei das Milchgeschäft „unrentabel“ geworden, auf den Almen können sich die Betriebe nicht vergrößern. Viele seien deshalb zur Mutterkuhhaltung übergegangen.
Der wichtigste Appell der Expertin an die Wanderer in der Region: Abstand halten. Denn selbst die Kreisbäuerin, die täglich mit Kühen zu tun hat, sagt: „Man kann in die Viecher nicht hineinsehen.“