Traunstein/Rosenheim – Ursprünglich lag einem 63-jährigen Unternehmer aus Bad Reichenhall mit Baufirma in Rosenheim ein Betrugsschaden von knapp 1,45 Millionen Euro an drei Sozialkassen zwischen 2010 und 2016 zur Last. Die Schadenssumme verringerte sich in dem zehn Monate andauernden Prozess vor dem Landgericht Traunstein auf etwas unter eine Million Euro – vor allem aufgrund verjährter Fälle. Die Zweite Strafkammer mit Vorsitzendem Richter Erich Fuchs verurteilte den Angeklagten gestern zu drei Jahren und neun Monaten Freiheitsstrafe.
Auf Zeugin aus Berlin
wurde verzichtet
Der 18. Hauptverhandlungstag begann mit dem Verzicht auf eine von den Verteidigern geforderte Zeugin aus Berlin, die zum fünften Mal der Ladung nicht gefolgt war. Die Berliner Polizei sah sich erklärtermaßen nicht in der Lage, die vorläufig festgenommene Dame in den Chiemgau zu transportieren. Die Frau hätte nur mit einem Helikopter eingeflogen werden können. Das schien dem Gericht nicht verhältnismäßig.
Der 63-Jährige sollte laut Anklage der Staatsanwältin Linda Arnotfalvy mit Scheinrechnungen 20 krimineller Subunternehmer vor allem in Berlin gearbeitet haben, um mit den Beträgen seine Kasse zum Finanzieren von Schwarzarbeit zu füllen. Staatsanwalt Alexander Foff rief gestern die Indizienkette für eine Täterschaft des 63-Jährigen ins Gedächtnis, darunter der Inhalt unzähliger Aktenordner, gestützt von den Aussagen vieler Zeugen. Die meisten aber – „einfache Leute, arme Schweine, die für ihn schuften“ – hätten alles geleugnet. „Viele wurden wegen des Angeklagten bereits verurteilt. Dennoch logen sie wie gedruckt. Weitere Verfahren wegen Falschaussage werden eingeleitet. Und der Angeklagte sitzt wie auf einem Thron und sieht zu, wie seine Mitarbeiter einer nach dem anderen die Klippen runterstürzt“, so Staatsanwalt Alexander Foff. Die Anklage sei „nur die Spitze eines Eisbergs“. Der 63-Jährige sei wegen 144 Fällen des Sozialbetrugs zu verurteilen.
Bei der Strafzumessung sah Staatsanwältin Linda Arnotfalvy das bisher straffreie Leben als einzigen Pluspunkt für den Angeklagten. Dem stehe viel Negatives entgegen. Das „Geschwür der Scheinfirmen“ stelle einen „kriminellen Selbstwert“ dar. Eine Strafe mit Bewährung wäre nur bei einem frühen Geständnis und bei kooperativem Prozessverhalten denkbar gewesen, hob die Staatsanwältin heraus. Eine Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten sei angemessen. Zusätzlich zu Wertersatz in Höhe des Schadens beantragte die Anklägerin, Haftbefehl wegen Fluchtgefahr zu erlassen.
Verteidiger Dr. Markus Frank aus Rosenheim trug viele Details vor, die die Unschuld des Unternehmers belegen sollten. Unter anderem führte der Anwalt an, in den Rechnungen seien tatsächlich erbrachte Leistungen abgerechnet worden. Unter dem Strich sei kein Tatnachweis zu führen, der Angeklagte zu Lasten der Staatskasse freizusprechen, dem Haftantrag nicht nachzukommen, schloss Dr. Frank.
In der Urteilsbegründung betonte der Vorsitzende Richter, das Hauptzollamt Rosenheim sei auf Indizien gestoßen, dass ein Teil der Einnahmen verschleiert werde. Das habe die Hauptverhandlung bestätigt. Differenzen zwischen den Stunden seien genau aufgelistet, teils mit dem handschriftlichen Vermerk „bez.“ versehen worden. Viele Arbeitnehmer hätten wegen gleichzeitigen Bezugs von Arbeitslosengeld Geld- und Freiheitsstrafen erhalten. „Sie haben bei uns die Unwahrheit gesagt“, konstatierte Fuchs. Das Gericht habe „keine Zweifel“, dass es sich bei den zusätzlichen Zahlungen um Schwarzlohn gehandelt habe.
„Klassischer Fall
der Schwarzarbeit“
Insgesamt handle es sich um den „klassischen Fall der Schwarzarbeit“: „Dem Angeklagten war bewusst, dass Sozialbeiträge abzuführen sind.“ Den Schaden bezifferte die Kammer mit 960638,87 Euro. Den Antrag auf einen Haftbefehl wies das Gericht zurück. Die Verteidiger kündigten umgehend Revision gegen das Urteil an. Monika Kretzmer-Diepold