Rosenheim – Man sieht sie auf der Straße, von Autoreifen geplättet, zerknüllt im Rinnstein, verhakt in Sträuchern, als blaue Farbtupfer in den Wiesen, im Kies von Biergärten. Die Wegwerfgesellschaft entledigt sich ihrer Mundschutzmasken. Und zieht neue über, wo und wann sie denn muss. Ist genug da. Für alle.
Das war nicht immer so. Vor fünf, sechs Monaten herrschte Mangel, wie man ihn in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr erlebt hatte. Nicht überall, aber an einigen ausgesuchten Produkten. Erst an Klopapier, an Reis und an Nudeln. Und dann an Schutzausrüstung.
Improvisation
und Höchstpreise
Man hörte von Ärzten, die im Baumarkt verzweifelt nach Schutzmasken stöberten. Von Apotheken, die Desinfektionsmittel anrührten. Vom Eishockey-Ausrüster Bauer, der auf die Herstellung von Schutzvisieren umrüstete. Von Sport zur Krisenabwehr: Im Landkreis Rosenheim lag ein Hauch von Kriegswirtschaft in der Frühlingsluft.
Besonders schnell waren die partikelfilternden FFP2- und FFP3-Masken knapp, dann wurden auf Wochen hin auch Desinfektionsmittel und Teile der Schutzausrüstung Mangelware. Man sparte, auch im Romed-Klinikum. Etwa, indem Einwegmasken Mitarbeitern vorbehalten wurden, die wirklich mit Patienten zu tun hatten.
Dass sich der Verbrauch dennoch erhöhte, extrem erhöhte sogar – das konnten Ärzte und Pflegepersonal nicht verhindern: Corona, so viel wusste man von Beginn an, ist hoch ansteckend. Seit dem 19. März stiegen die Kurven der Fallzahlen steil an. Und damit auch der Verbrauch von Masken, Kitteln, Handschuhen.
200-mal so
hoch wie normal
Ausrüstung musste her, um fast jeden Preis. Nordrhein-Westfalen saß im April windigen Geschäftemachern in Asien auf und überwies 15 Millionen Euro – für Schutzmasken, die gar nicht existierten. Dank der Sonderermittler aus Traunstein konnte ein Teil der Summe sichergestellt werden.
Aber auch bei reellen Anbietern stiegen die Preise ins Astronomische. Dr. Jens Deerberg-Wittram, Geschäftsführer der Romed-Kliniken, hat die Entwicklung genau dokumentiert. Erst stieg der Bedarf, dann stieg der Preis – und beides zusammen ließ die Kosten förmlich explodieren.
Ein Beispiel: Der Preis für FFP-3-Masken stieg von 2,14 Euro um fast das Siebenfache auf 14 Euro. Weil das Klinikum auf dem Höhepunkt der Krise das 28-fache der üblichen Menge verbrauchte, summierten sich die Kosten auf fast das 200-fache.Bei FFP-2-Masken stiegen die Kosten am Spitzentag sogar ums 400-fache. Wasserfeste Schutzkittel, die in normalen Zeiten 42 Cent kosten, wurden auf dem freien Markt auf einmal für über sieben Euro verkauft. Und man brauchte 20-mal so viel davon wie sonst – macht Multiplikationsfaktor 340!
Bei den genannten Artikeln handelt es sich um Spitzenwerte, wie gesagt – aber auch woanders stiegen die Kosten immens. „Bei erfolgskritischen Materialien müssen wir uns überlegen, wie wir unabhängiger werden“, sagt daher Dr. Jens Deerberg-Wittram.
Vor allem muss sich das Klinikum überlegen, wie es die Löcher im Etat stopft. Die Schutzkleidung in der Corona-Krise kostete die Romed-Kliniken rund 3,5 Millionen Euro. Ob das Klinikum diese Summe erstattet bekommt, teilweise oder gar nicht – so richtig ist das noch nicht raus.
Nach Auskunft des Bayerischen Gesundheitsministeriums werden Pflegeeinrichtungen entschädigt. Aber Krankenhäuser? Sie rechnen zur „pauschalen Abgeltung von Preis- und Mengensteigerungen“ für Patienten, die zwischen April und September zur voll- oder teilstationären Behandlung in das Krankenhaus aufgenommen werden, einen Zuschlag in Höhe von 50 Euro ab, bei einer Infektion mit SARS-CoV-2 das Doppelte. Weitere Erstattungen gibt es für leer stehende Betten und für Beatmungsmaschinen. Aber für Schutzkleidung? Deerberg-Wittram zweifelt noch und mahnt bei Gesundheitsminister Spahn (CDU) die Einhaltung seines Versprechens, dass kein Krankenhaus wegen Corona in die roten Zahlen rutschen werde. „Es kann nicht sein, dass einige gewinnorientierte Privatkliniken, die kaum Covid-Patienten gesehen haben, durch unverhältnismäßig hohe Ausgleichszahlungen zu wirtschaftlichen Gewinnern der Krise werden, während Kliniken Verluste machen, die täglich die Daseinsfürsorge der Bürgerinnen und Bürger sicherstellen“, wettert der Romed-Geschäftsführer.
Vorbereitet auf
die zweite Welle?
Zuletzt ließen steil ansteigende Infektionszahlen in Rosenheim die Alarmglocken schrillen. Allerdings fühlen sich Ärzte und Krankenhäuser nun ungleich besser gerüstet als in März und April. Nach aktuellem Stand sei definitiv mehr Ware da wie zu Beginn der ersten Welle, meldet Romed-Einkaufsleiter Dr. Rudolf Herzog: „Romed hat ein ,Pandemielager‘ für Schutzmaterial errichtet, das zum größten Teil schon bestückt ist.“
Niemand würde nun sagen: Corona kann kommen. Dass Kliniken und Ärzte besser gerüstet sind als vor einem halben Jahr, scheint allerdings sicher.