Atommüll: Alarm nach Studie

von Redaktion

Zwischenbericht weist Region Rosenheim als günstigen Standort aus

Rosenheim – Atommüll vor den Toren Rosenheims? Eine Studie alarmiert die Region. Der „Zwischenbericht Teilgebiete“ der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) zieht die Region zwischen Rosenheim und östlichem Ufer des Chiemsees in eine erste Auswahl.

Gute Bedingungen
für ein Endlager

„Die Anwendung der geowissenschaftlichen Abwägungskriterien lässt insgesamt eine günstige geologische Gesamtsituation für die sichere Endlagerung radioaktiver Abfälle erwarten.“ Dieser Satz lässt in der Region Rosenheim Alarmglocken schrillen. Denn er findet sich in einer Studie der Bundesgesellschaft für Endlagerung.

Die „günstige geologische Gesamtsituation“ gilt demnach für weite Teile der Oberpfalz, Niederbayerns und des südlichen Oberbayerns. Genauer: für weite Teile des Landkreises Rosenheim, außerdem Gebiete nahe Mühldorf und Altötting. Die Region ist aufgrund ihres „Tertiären Tongesteins“ in die allererste Auswahl der Bundesgesellschaft für Endlagerung gekommen. Derartige Pläne hatte es bereits für das Fichtelgebirge im Nordosten und für den Bayerischen Wald mit seinen Granitformationen gegeben. Für den Landkreis Rosenheim sind die Überlegungen neu.

Heftige
Reaktion

Die Reaktionen in der Region fallen harsch aus. Die Bundestagsabgeordnete Daniela Ludwig (CSU) sieht in der Auflistung der BGE ein grobes Raster angelegt und äußerte „große Zweifel an der Qualität des Zwischenberichts“.

„Unsere Gegend ist dafür nicht geeignet“, sagt kategorisch der Landtagsabgeordnete Klaus Stöttner. „Diese Liste ist politisch unfundiert, das sind katastrophale Ansätze“, sagt der Rosenheimer Abgeordnete, tourismuspolitischer Sprecher der CSU-Fraktion, auf die Nachfrage der OVB-Heimatzeitungen. „Wer das geschrieben hat, der hat null Ahnung von der Region, er kennt ihre Bedeutung nicht, nicht ihre Kleinstrukturiertheit, nicht ihre Müllproblematik.“ In einem Tourismusgebiet sei so etwas ein Unding, sagt Stöttner, „ich werde alles tun, solche Überlegungen im Keim zu ersticken.“

Suche von
Ideologie frei halten

„Die Suche nach möglichen Endlagerstätten für radioaktive Abfälle darf keine Frage der Ideologie sein, sondern muss auf Erkenntnissen zu Geologie, Umwelt und Naturschutz beruhen“, mahnte Daniela Ludwig. Die begrüßte, dass die Staatsregierung den „Zwischenbericht“ einer kritischen Prüfung unterziehen wolle.

Stephan Mayer (CSU), parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium und Bundestagsabgeordneter aus dem Landkreis Mühldorf, äußerte entschiedene Ablehnung. „In den dicht besiedelten Gebieten unserer Region wird es niemals ein atomares Endlager geben.“ Der AfD-Landtagsabgeordnete Andreas Winhart sieht schon in der Diskussion eine Gefahr für Immobilienbesitzer und Investoren. „Ein Endlager in der Region Rosenheim, Mühldorf, Altötting wäre für die Region nicht nur touristisch der Todesstoß.“

Vorerst steht da aber dieser Bericht, der in erster Linie Ergebnis einer Streichliste ist. Landrat Otto Lederer (CSU) äußerte sich daher „sehr überrascht“, aber auch gelassen. Große Teile Bayerns seien ja betroffen, man befinde sich überdies am Anfang eines „langen Prozesses“. Mit der Eggstätt-Hemhofer Seenplatte befindet sich das älteste Naturschutzgebiet Bayerns im betreffenden Teilbereich, zudem viele weitere Schutzgebiete – für Lederer ein sicheres Ausschlusskriterium.

Es handle sich um einen ersten Schritt, bestätigte BGE-Sprecher Sven Petersen. Man habe auf der Basis bereits vorhandener geologischer Daten die Gebiete aussortiert, die nicht infrage kommen, und die Gebiete beschrieben, die zwei Grundvoraussetzungen erfüllen: Erdbebensicherheit und richtige Gesteinsart. Diese Voraussetzungen sieht die bundeseigene Gesellschaft auf etwas mehr als der Hälfte Deutschlands erfüllt.

Bezeichnung „Wirtsgestein“

Als Gesteine, die sich als „Gastgeber“ für Atommüll eignen – daher die Bezeichnung „Wirtsgestein“ – gelten Granit, Salzgestein und Tongestein. Letzteres ist tief unter dem Landkreis Rosenheim zu finden, in erforderlicher Dicke und Tiefe: Eine Tongesteinschicht, mehr als 300 Meter unter der Oberfläche, in einer Mächtigkeit von maximal 1200 Metern. Was das Gestein als Lagerstätte für die strahlenden Rückstände empfiehlt, ist auch sein Alter: die Tongesteinschicht tief unter den Füßen der Rosenheimer ist zig Millionen Jahre alt und verändert sich kaum. Offenbar gute Voraussetzungen, um den strahlenden Müll für eine Million Jahre zu bergen.

2031 soll eine Entscheidung fallen. Die BGE zeigt sich optimistisch. „Die bundesdeutsche Geologie ist von Nord bis Süd und von Ost bis West so günstig, dass wir mit Überzeugung sagen können, dass sich daraus der eine Standort mit der bestmöglichen Sicherheit für die Endlagerung hoch radioaktiver Abfälle wird ermitteln lassen“, sagte Stefan Studt, Geschäftsführer der BGE, laut einer Pressemitteilung des Unternehmens.

Studt betont, mit der Nennung als Teilgebiet im Zwischenbericht sei „noch lange nicht“ die Auswahl zum Endlagerstandort verbunden.

Gorleben
scheidet aus

Eine Entscheidung jedenfalls ist mit dem Zwischenbericht gefallen. Ausgerechnet der lange als Endlager gehandelte Salzstock Gorleben (Niedersachsen) kommt im „Zwischenbericht Teilgebiete“ nicht mehr vor und scheidet damit im frühestmöglichen Stadium aus dem Suchprozess aus.

Insgesamt wird mehr als die Hälfte des deutschen Gebiets als mehr oder weniger günstig eingestuft, 90 Teilgebiete sind es insgesamt. Betroffen sind alle Bundländer, mit Ausnahme des Saarlands.

Bürger können
Stellung beziehen

Der Zwischenbericht war der erste Schritt auf der Standortsuche. Ab dem 17. Oktober können sich die Bürger äußern. Ein halbes Jahr soll diese sogenannte „Fachkonferenz“ dauern. Erst danach fallen Entscheidungen, welche Teilgebiete zum Zweck der weiteren Einengung der Auswahl für eine Analyse begangen werden. Für 27. Oktober um 17 Uhr lädt die BGE zur Online-Sprechstunde mit Experten, und zwar auf dem Youtube-Kanal der BGE. Fragen kann man über die Youtube-Chatfunktion oder per E-Mail an die Adresse dialog@bge.de stellen.

30-jähriger Streit ums Kernkraftwerk

Ein Atomkraftwerk in Marienberg? Die Möglichkeit bestand. Die Diskussionen darüber entbrannten Anfang der 1970er-Jahre. 1978 wurden die Überlegungen konkreter, der bayerische „Standortsicherungsplan“ wies Marienberg neben zwölf anderen Orten als möglichen Standort aus. Damit begann eine Welle von Protesten, führende Politiker aus Stadt und Landkreis Rosenheim wie Landrat Georg Knott (CSU), Walter Schlosser (SPD) oder der Bürgermeister von Schechen kündigten an, mit „allen legalen Mitteln gegen den Bau eines Kernkraftwerks Marienberg“ zu kämpfen. An ihrer Seite: Bürger wie die Rosenheimerin Elisabeth Stechl. Die Argumente der Gegner: die meteorologischen Verhältnisse in der Rosenheimer Beckenlandschaft, die Wasserqualität des Inns sowie die unabsehbaren Auswirkungen auf Natur und Tourismus. Auch Österreich bezog Stellung gegen ein AKW Marienberg. Dennoch passierte der Standortsicherungsplan ohne weitere Diskussionen den Landtag. Die Rosenheimer Landtagsabgeordneten waren der entscheidenden Sitzung ferngeblieben. 28 Jahre des Protestes, Demonstrationen und Unterschriftsaktionen führten dann aber doch ans Ziel: 1998 versprach Ministerpräsident Edmund Stoiber die Streichung des Standorts Marienberg. Die endgültige Entwarnung folgte ein Jahr später. we

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