Aschau – Zehntausende von Jahren dauerte es, bis der Gletscher das Tal ausgeschürft hatte, weitere Tausende Jahre, bis sich das Eis zurückzog und dichter Wald auf den Bergflanken wuchs. Spät in der Geschichte des Prientals taucht der Mensch auf. Ende des 14. Jahrhunderts ist Innerwald erstmals erwähnt. Innerwald ist, so kann man es sagen, ein idyllischer Platz, ein Ort fürs geruhsame Leben.
Es könnte aber schnell ungemütlich werden. Das zumindest fürchten einige Innerwalder. Sie haben Sorgen wegen des Kohlstätter Bachs. „Wenn der kommt“, sagt etwa Georg Wagner, der mit seiner Frau Theresia 1987 sein Haus hier baute, „dann waren wir mal in Innerwald.“
Um diese Sorgen nachvollziehen zu können, muss man sich an Ereignisse wie den Lawinenabgang 2009 erinnern. In rund 1400 Metern Höhe setzte sich damals am Brandlberg der Schnee in Bewegung, Lawinen rauschten ins Tal. Was sie mit sich nahmen, drohte das Bett des Kohlstätter Bachs zu verstopfen: Schnee, Geröll, Schlamm und Bruchholz.
Aufgestautes Wasser aber, das sich Bahn bricht und gen Tal rauscht, könnte in Innerwald Verwüstungen anrichten. Thomas Brandner vom Wasserwirtschaftsamt Rosenheim kennt den Kohlstätter Bach. Bei extremem Hochwasser, einem sogenannten „100-jährlichen“, könne der Bach bis zu 20 Kubikmeter Wasser, Geschiebe und Holz in der Sekunde führen. Das Wasserwirtschaftsamt Rosenheim baute daher 2015/16 einen Wildholzrechen und spannte weiter unten ein starkes Stahlnetz quer übers Bachbett, das Bruchholz auffangen soll. Auf eine Wassermenge von 23 Kubikmeter pro Sekunde habe man den Schutz ausgelegt, sagt Brandner, inklusive eines „Klimaänderungszuschlags“ von 15 Prozent.
Am besten wäre es freilich, wenn Lawinen und Muren dank eines starken Schutzwaldes gar nicht erst Fahrt und Material aufnehmen könnten, sagt Paul Höglmüller, Leiter des Staatsforstbetriebes Ruhpolding, der unter anderem den Schutzwald oberhalb Innerwalds betreut. „Es gibt keine Art der Bodennutzung, die Wasser so gut zurückhält wie Wald.“ Da weiß sich Höglmüller ganz auf der Linie des Landwirtschaftsministeriums. „Alpine Schutzwälder sind unverzichtbar, denn sie schützen Menschen, Siedlungen und Verkehrswege auf großer Fläche vor den Naturgefahren des Gebirges“, heißt es aus München.
Wie fit ist
der Schutzwald?
Der Bergwald im Priental befinde sich gerade in einer Art Wachablösung, meint Höglmüller. Die alten Bäume, noch aus der ersten Hochzeit der Waldwirtschaft Ende des 19. Jahrhunderts stammend, segneten nach und nach das Zeitliche. Jüngere Bäume müssten die Lücken füllen. Das schafften sie aber nicht im notwendigen Maße. Der Zustand des Schutzwaldes sei schlecht, sagt Hans Jehl vom Schutzwald-Management des Amtes für Landwirtschaft und Forsten in Marquartstein. Man brauche zum Beispiel mehr Tannen. „Die Mischung ist sehr, sehr wichtig.“
Sonst droht Ungemach durch Vergrasung. So nennen es Forstexperten, wenn die Konkurrenz, etwa von Gräsern, die Verjüngung hemmt. Es bilden sich dann an den steilen Hängen des Prientals Grasstreifen, die wie Rutschbahnen für Lawinen wirken. Zumal wenn nach einem milden Herbst viel Schnee auf vergleichsweise warmen Boden fällt. So wie im Winter 2018/19.
Die Gründe für den schlechten Zustand des Schutzwaldes sind nach Auskunft der Fachstelle vielfältig. Der Klimawandel sei einer der wichtigsten Gründe für die schlechte Waldverjüngung. Wie man am Beispiel der Fichte sehe: Sie wächst laut Jehl zwar schnell nach, wurzelt aber flach und ist Stürmen nicht besonders gut gewachsen. Zudem packe sie den Hitzestress im Sommer schlecht. Im Winter wiederum mache den jungen Bäumen der Schneedruck zu schaffen.
Handlungsbedarf sieht Jehl zusätzlich wegen des Verbissschadens, den Rotwild an den jungen Bäumen anrichte. Felix Wölfl, Forstdienststellenleiter von Aschau und Sachrang, stimmt dem zu: „Wir nutzen unsere jagdlichen Möglichkeiten und das müssen wir auch.“
Der Freistaat treibt hohen Aufwand für den Schutzwald am Berg. Hölzerne Böcke sollen die Setzlinge in Hanglage vor Schneedruck schützen. 120 dieser pyramidenartigen Schutzkonstruktionen haben Jehl und seine Mitarbeiter kürzlich am Klausgraben aufgebaut. Gut 40-mal musste der Hubschrauber in die Höhe steigen, mit jeweils drei Böcken an einer langen Stahltrosse, um die Verbauungen zu den Waldarbeitern zu bringen. Gut 7500 Euro kosten allein die Flüge.
Überhaupt hat Bayern viel Geld in die Hand genommen: rund 1,4 Millionen in den vergangenen 30 Jahren am Klausgraben, allein 850000 Euro oberhalb Innerwalds. Das alles für Pflanzungen, Gleitschneeverbauungen und Sanierungssteige, über die Mitarbeiter der Forstbehörden in die Höhe gelangen. Gut investiertes Geld, heißt es aus dem Landwirtschaftsministerium: „Ohne das Zusammenspiel von Schutzwald und Technik müssten Schutzbauwerke deutlich umfangreicher und größer gebaut werden.“
Wetterlagen
werden heftiger
„Häufigere und intensivere Starkregenereignisse werden insbesondere in den bayerischen Bergregionen erwartet“, erklärt das Bayerische Umweltministerium. „Erste Modellierungen zeigen besonders hier eine deutliche Zunahme von Hochwasserabflüssen.“ Thomas Brandner vom Wasserwirtschaftsamt vermutet: „Wir bekommen extremere Wetterlagen.“
Wie sicher ist das Priental, wie sicher Innerwald? Ein anderer Innerwalder hätte darüber gerne Klarheit: Georg Antretter. Er wohnt in einem der ältesten Höfe des Ortes und beobachtet Berg und Bach aufmerksam. Alle Beteiligten müssten sich zusammensetzen, findet er. Vor allem aber wünscht er sich eine Bestandsaufnahme von außen: „Ich fände es gut, wenn das alles mal von einem Unabhängigen untersucht werden würde.“