Eggstätt – In kaum einem anderen Bereich fehlen so viele Fachkräfte wie in der Pflege. Laut dem Institut der deutschen Wirtschaft in Köln könnten in der stationären Versorgung bis zum Jahr 2035 über 300000 Pflegekräfte fehlen. Dass es schon jetzt schwierig ist, Pflegepersonal zu finden, wissen Bernhard Hering und sein Sohn Sven nur zu gut. Sie betreiben ein Pflegeheim für Demenzkranke mit 13 Bewohnern in Eggstätt. Deswegen suchen sie seit einigen Jahren nach Fachkräften im Ausland. Doch die bürokratischen Hürden sind groß – und führen mitunter auch zu Familiendramen.
Jahrelanges Warten
auf einen Termin
„Seit zwei Jahren wartet eine bosnische Pflegekraft, die bei uns arbeiten möchte, auf einen Termin für einen Visumsantrag bei der deutschen Botschaft in Sarajewo“, berichtet Bernhard Hering. Damals sei die ausgebildete Krankenpflegerin aus Bosnien-Herzegowina nach Deutschland gereist und habe sich die Einrichtung angeschaut. Sie spricht laut Bernhard Hering gut Deutsch und erfüllt alle Voraussetzungen. Trotzdem müssen die Pflegekräfte ausharren. „Und das, obwohl in Deutschland ein gravierender Pflegekräftemangel herrscht und das Personal unterbezahlt am Limit arbeitet.“
Auch Pflegerin Nada Pavlovic aus Serbien ist seit Dezember 2019 im Seniorenheim Hering beschäftigt. Ihr Visum habe sie bereits im Mai 2018 gestellt und über 19 Monate gewartet. Noch schlimmer trifft es ihre achtjährige Tochter: „Im Dezember 2018 habe ich ein Visum für meine Tochter bei der deutschen Botschaft in Belgrad beantragt“, berichtet die 36-Jährige. Dann sei lange nichts passiert.
Als sie im Juli in ihrer Heimat Urlaub machte, nahm sie ihre Tochter mit nach Deutschland. In der Hoffnung, dass das Visum bald erteilt würde, erklärt sie. Sie meldete die Tochter beim Einwohnermeldeamt und in der Grundschule an. Am 4. Oktober dann der Schock: Mit Verfügung des Landratsamtes Rosenheim musste das achtjährige Mädchen das Land verlassen. „Ein Drama für Mutter und Kind“, sagt Sven Hering. Das Mädchen lebe nun bei den Großeltern. Inzwischen wird die Serbin von einem Rechtsanwalt vertreten. Auch von ihrem Arbeitgeber bekommt sie Unterstützung.
Bernhard und Sven Hering wollen Arbeitskräfte wie Nada Pavlovic nicht verlieren. „Wir wissen nicht mehr, wo wir die Leute herkriegen sollen“, sagt Sven Hering. Auch sein Vater stimmt ihm zu: „Wir haben viele schlechte Erfahrungen gemacht mit Pflegekräften, die uns vom Arbeitsamt vermittelt wurden.“
Besonders ärgert sie aber, dass Bundesgesundheitsminister Jens Spahn seit geraumer Zeit damit werbe, die Visumsverfahren für Pflegekräfte aus dem Ausland zu vereinfachen. „Alles leere Versprechungen“, so die Eggstätter Pflegeheimbetreiber. Bei Fußballern würde das mit dem Visum klappen, „aber die Pflege hat leider keine Lobby“, so Sven Hering. Der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa), dem auch das Eggstätter Pflegeheim Hering angehört, weist seit Jahren darauf hin, dass aufgrund der demografischen Entwicklung Zuwanderung – auch aus dem nichteuropäischen Ausland – erforderlich sei und fordert deshalb die Einführung einer „Care Card“ für ausländische Pflegefachkräfte. „Die von Herrn Hering geschilderten Fälle gibt es leider immer wieder“, teilte Pressesprecherin Susanne Jauch auf Anfrage der OVB-Heimatzeitungen mit.
Das größte Problem sei, dass die ausländischen Fachkräfte das Arbeitsvisum und den Aufenthaltstitel nur bei den deutschen Botschaften im Ausland beantragen könnten. Gerade auf dem Balkan seien diese in den vergangenen Jahren chronisch überlastet, was zu einer Wartezeit von ein bis zwei Jahren führe. Allerdings sei seit März 2020 mit dem neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetz schon eine Verbesserung eingetreten, da die Botschaften über das sogenannte beschleunigte Fachkräfteverfahren schneller arbeiten müssten, so Jauch.
Familiennachzug
nur mit Visum
Laut Auskunft des Landratsamtes Rosenheim gehört zum Visumsverfahren unter anderem auch die Registrierung in einer Warteliste zur Familienzusammenführung. „Die Wartezeit, um einen Termin zur Familienzusammenführung zu erhalten, beträgt zurzeit über ein Jahr“, so Pressesprecher Michael Fischer. Die Bearbeitungszeit dauere zehn bis zwölf Wochen – in Einzelfällen auch länger.
Gesetzgeber sind
die Hände gebunden
Wie Fischer mitteilte, häuften sich in letzter Zeit die Fälle, dass Eltern oder Elternteile aus dem Westbalkan, die bereits im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis sind, ihre Kinder im Rahmen des touristischen Aufenthalts nach Deutschland holten, „und versuchen, für ihr Kind, das nicht das erforderliche Visum besitzt, eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten“. Dem Gesetzgeber sind die Hände gebunden, die Kinder müssen, wie im Fall von Nada Pavlovic, ausgewiesen werden.
Für Nada Pavlovic und ihre Tochter könnte es sich bald zum Guten wenden: Am vergangenen Mittwoch, 21. Oktober, bekam sie nach knapp einem Jahr einen Termin bei der deutschen Botschaft in Belgrad für den Visumsantrag ihrer Tochter. Nicht nur sie, sondern auch ihr Arbeitgeber, seien „überglücklich“.