Rosenheim – Er ist noch nicht verkündet, doch er kommt: Die Region Rosenheim richtet sich auf den nächsten Corona-Lockdown ein. Die Gefühlslage in Stadt und Landkreis: zwischen Wut und Panik.
Was wird Rosenheim tun? Das war die Frage am Mittwochmorgen. Die Rosenheimer Stadtverwaltung beobachtete die Beratungen der Ministerpräsidentenkonferenz vorerst mit stiller Resignation. „Wir warten ab, was die hochmögenden Damen und Herren in und um Berlin beschließen“, sagte Sprecher Christian Schwalm zur Konferenz von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Länderchefs.
Im Laufe des Tages wurde klar: Es geht nicht länger um Rosenheim allein. Es geht um eine nicht mehr kontrollierbare Corona-Lage in Deutschland. Ab Montag macht das Land dicht, sickert gegen 15 Uhr durch. Insgesamt und ohne Ausnahme-Kommune. Wie es der Bayerische Ministerpräsident am Dienstag gesagt hatte: „Schnell und konsequent.“ So wollte es Söder. Schulen und Kitas allerdings sollen geöffnet bleiben. Gestern Nachmittag wurde aber bekannt, dass die Berufsschule II Rosenheim den Präsenzunterricht einstellt. Grund: das „Ausbruchsgeschehen“ an der Schule.
Unmut
und Bangen
Vor allem unter Hoteliers und Gastronomen der Region verbreiteten sich gestern Unmut und Bangen. Klaus Stöttner, tourismuspolitischer Sprecher der CSU-Landtagsfraktion, telefonierte mit Wirten und Hoteliers. „Es herrscht sehr schlechte Stimmung“, sagte Stöttner, „alle haben Angst.“
Die Sperrstunde um 21 Uhr traf Kneipen und Restaurants bereits hart. Doch ab Montag wieder dichtzumachen, für zwei oder mehr Wochen: Das ist, als legte man den Rückwärtsgang ein – mitten in der Fahrt.
„Es kommt drauf an, wie lange sie das machen“, sagte Alexander Balk vom Bistro Big Ben am Schloßberg (Stephanskirchen). „Der Söder wird das knallhart durchziehen.“ Kein Geschäft, aber weiter laufende Kosten – das hält kein Betrieb lange aus. „Wenn das bei drei Wochen bleibt, dann krieg ich das hin. Wir machen dann wieder Essen to go. Aber wie geht’s dann weiter?“ fragt Balk. Martin Kupferschmied vom Happinger Hof sieht seine Mitarbeiter zunehmend verzagt. Drei hätten schon gekündigt, um nach einem sicheren Job zu suchen.
Theresa Albrecht, Chefin des Hotels Post in Rohrdorf und Kreisvorsitzende des Hotel- und Gaststättenverbands, rechnet mit Sonderwegen. „Die Bundesländer werden sich doch wieder nicht einig“, sagt sie. „Und Österreich und Italien machen‘s eh anders.“ Was Bayern schwere Nachteile brächte. „Kanzler Kurz ist doch clever. Die machen dann im November Tirol dicht, und im Dezember machen s‘ wieder auf.“
Christina Pfaffinger von Chiemsee-Alpenland Tourismus blickt mit Sorgen in die Zukunft. „Im anstehenden Winter ist das für die Gastgeber und die Leistungsträger schrecklich“, sagt sie.
Viele Wirte können die entsprechenden Zahlen schon herunterbeten: 447000 Menschen, die allein in Bayern in der Bewirtungs- und Beherbergungsbranche arbeiten und damit nunmehr vor dem Ruin stehen. „Das ist nicht nur eine Zahl“, sagt Pfaffinger. „Dahinter stehen Unternehmer, dahinter stehen Menschen und ihre Familien.“
Was Hoteliers und Gastronomen stinkt, ist der ihrer Meinung nach willkürliche Rückgriff aufs Robert-Koch-Institut. Einerseits werde die Inzidenzzahl des RKI als Begründung für harte Einschnitte angeführt, schimpft Thomas Geppert aus Bad Aibling, Geschäftsführer des bayerischen Hotel- und Gaststättenverbands. Andererseits werden die Beobachtungen des RKI ignoriert. Das Institut hatte festgestellt, dass sich lediglich 0,5 Prozent der Ansteckungen in der Gastronomie ereigneten.
Klaus Stöttner hingegen hat Verständnis entwickelt. „Ich habe in den Diskussionen auch immer darauf hingewiesen, dass dank der guten Umsetzung der Regeln in unserer Gastronomie kaum Infektionen von dort ausgehen. Aber wenn man die Infektionswege nicht mehr nachvollziehen kann, dann gerät uns die Lage wie in anderen Ländern außer Kontrolle – dann droht sogar der Total-Lockdown.“
Politik kann‘s eh
nur falsch machen
Auch der Sport ist betroffen. Was nur im Team geht, geht ab Montag nicht mehr. Thomas Janko, einer von zwei Geschäftsführern der Kletterhalle Rosenheim, bemüht sich um Gelassenheit. „Wir fahren auf Sicht, genau so wie die Politik. Wir haben das ja auch schon mal durchexerziert.“ Er hat Verständnis für die Politiker und ihre Entscheidung für weitgehende Ausgangsbeschränkungen. „Die Politiker können es doch eh nur falsch machen. Wenn sie den Lockdown zu spät machen, gibt es viele Tote und alle schimpfen auf sie. Wenn sie früh alles runterfahren, dann gibt es wenige Tote, und man kann die Maßnahmen hinterher nicht rechtfertigen.“
Kultur und Kulinarik, Geselligkeit und Sport: Was mühsam wieder angelaufen war, fährt nun erneut runter. „Drei, vier Wochen Ruhe geben, dafür dann einen Lichtblick an Weihnachten“, so sieht es Klaus Stöttner.
Manchen ist die Planung über Heiligabend hinaus ruiniert. Nicht zuletzt der Kulturbetrieb hat mit der Ungewissheit zu kämpfen. Monika Hauser-Mair etwa; sie war mit ihrem Team von der Städtischen Galerie dabei, eine Ausstellung über Jugendstil in Rosenheim vorzubereiten. Diese Schau wird, die Entscheidung fiel schon mit dem Anstieg der Infektionszahlen, erst im Dezember 2021 eröffnet. „Das ist ein bisschen bitter für uns, aber es kann nicht Sinn und Zweck sein, dass wir so eine riesige Ausstellung planen, und dann darf niemand hin.“ Stattdessen sollte nun die Ausstellung „Die 80er!“ der Künstler Erika Maria Lankes, Fried Stammberger und Peter Tomschiczek verlängert werden. Das dürfte sich nun auch erledigt haben.
Bleibt die Arbeit als Antidepressivum. Die Galerie will ab dem 23. Januar eine Fotoausstellung zeigen. „Darauf planen wir wie wild hin“, sagt Hauser-Mair.