Auch wenn die Laternenzüge zum heutigen Tag des heiligen Martin in diesem Jahr etwas kleiner ausfallen, hat dieses Fest doch für die Kinder nichts von seiner Faszination verloren. Vielleicht liegt es an der Einfachheit der Geschichte, die für unsere Kleinsten so einleuchtend ist: Der Soldat Martinus sieht einen frierenden Bettler im Schnee und zerschneidet deshalb seinen warmen Soldatenumhang in zwei Hälften.
Er gibt nicht alles, aber er teilt. Wenn ich die Geschichte vom heiligen Martin im Kindergarten erzähle, erspare ich mir dabei jede Erklärung und jeden moralischen Appell. Die Kinder verstehen von selbst. Sie haben noch eine ureigene Herzensweisheit und kapieren, dass es nicht nur um den Soldatenmantel, das Pausenbrot und um das Teilen der Spielzeuge im Sandkasten geht, sondern um eine Lebenshaltung: mit dem Herzen die wirkliche Not anderer zu sehen und zu schenken ohne Zögern und Berechnung.
Jedes Jahr die gleiche Geschichte. Es gibt zumindest bei uns nicht mehr ganz so viele „frierende Bettler im Schnee“, aber eine andere Kälte, die nicht weniger geworden ist. Viele von uns sehnen sich nach einem bergenden Mantel der Liebe und Wärme gegen den Frost der Gleichgültigkeit, der Missverständnisse, mancher Wortlosigkeit und Einsamkeit. Was die Geschichte vom heiligen Martin anbelangt, sind unsere Kinder die absoluten Experten und teilen mit ihren Laternen ein kleines Licht. Vielleicht könnten wir uns auch davon „positiv anstecken“ lassen. Es wäre tatsächlich die einzige Infektion, die unserer Welt gut tun würde.