Brannenburg/München – Die palliativmedizinische Versorgung wird eingestellt – nicht weil der Patient gestorben ist, sondern weil es ihm viel besser geht. Ja, das gibt es. Dass sich bei Palliativmedizin, für viele Menschen ein „Angstwort“, alles ums Sterben und ums Warten auf den Tod dreht, ist ein Vorurteil. In erster Linie geht es ums Leben.
Das gilt besonders für die Kinderpalliativmedizin. Vier der 13 Buben und Mädchen im Haus Christophorus, denen die Weihnachtsaktion „OVB-Leser zeigen Herz“ gewidmet ist, werden in Brannenburg vom Ambulanten Dienst des Kinderpalliativzentrums (KPM) der Universität München betreut. Dort ist die Leiterin, Professorin Dr. Monika Führer, schwer beeindruckt vom Haus Christophorus.
Frau Professor Führer, worum dreht sich Palliativmedizin bei Kindern?
80 Prozent der älteren Palliativpatienten haben Krebs. Bei Kindern ist das Verhältnis umgekehrt. Nur 20 Prozent leiden an einer Tumorerkrankung. Das Spektrum der Krankheitsbilder ist viel breiter: Gendefekte, schwere Herzfehler, schwere neurologische Schädigungen aufgrund von Komplikationen bei der Geburt. So ist es auch im Haus Christophorus. Dort betreuen wir kein einziges Kind mit einer Krebserkrankung.
Kann sich eine palliative Versorgung auch über Jahre hinziehen?
Ja, das kommt vor. Bestenfalls sogar über viele Jahre. Wir betreuen Kinder, die an einer schweren, fortschreitenden Erkrankung leiden. Wir wissen, dass sie kein hohes Lebensalter erreichen werden. Aber wir wissen nicht, wie viele Jahre sie noch leben. Das ist nur schwer vorherzusagen. „Palliativ“ ist bei Kindern oft keine Frage von Stunden, Tagen oder Wochen. Es geht auch nicht nur um die Lebensdauer.
Sondern?
Sondern um Lebensqualität. Cicely Saunders, die Gründerin der Hospizbewegung, hat es beispielhaft auf den Punkt gebracht: „Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben.“ Das gilt für die Kinderpalliativmedizin in besonderem Maße. Und wenn sich die Kinder so wohl und geborgen fühlen wie im Haus Christophorus, können wir uns sogar manchmal wieder ganz zurückziehen.
Heißt das, Sie haben die palliativmedizinische
Versorgung eingestellt, weil sich der Zustand der Kinder stabilisiert hat?
Genau. Das ist in Brannenburg schon zweimal der Fall gewesen. Unser SAPPV-Team – die Abkürzung steht für Spezialisierte ambulante pädiatrische Palliativversorgung (und von diesen Teams gibt es sechs in Bayern) – ist in ganz Oberbayern unterwegs. Und die Ärzte und Pflegenden sind immer wieder begeistert davon, wie gut die Zusammenarbeit mit dem Haus Christophorus funktioniert und wie gut die Kinder dort aufgehoben sind. So brauchen ein Bub und ein Mädchen inzwischen keinen Besuch von unserer SAPPV mehr. Das sind tolle Erfolge. Und sollte es eines Tages wieder schlechter gehen, sind wir wieder da, um zu helfen.
Worauf sind solche Erfolge zurückzuführen?
Da müssen alle Räder ineinandergreifen: Eltern, Betreuer, Therapeuten, Kinderarzt, SAPPV. Ein multiprofessionelles Team mit hoher Fachkompetenz in ständigem Austausch – das ist die Basis. Hinzu kommt als besonderer Faktor in Brannenburg, dass das gesamte Umfeld eine so außergewöhnlich enge Bindung zu den Kindern entwickelt hat.
Wie wirkt sich das aus?
Weil die Fachleute im Haus die Kinder genau kennen, können sie jeden Blick entschlüsseln, jedes Lächeln, jeden Gesichtsausdruck. Sie wissen, was „normal“ ist und was nicht. Da geht es um Atmung, Kontaktfähigkeit, Epilepsien, erhöhte Temperatur, Apathie oder mögliche Schmerzen. Hauskinderarzt Dr. Christian Brückmann ist dabei ein unverzichtbarer Partner für unser SAPPV-Team. Das erspart den Kindern unnötige Klinikaufenthalte – und damit viel Stress. Oder aber, wenn ein beunruhigendes Symptom vorliegt, können wir sehr früh reagieren.
Also ist Lachen und Wohlfühlen doch die
beste Medizin?
Natürlich spielt das Emotionale eine große Rolle. Unser Verständnis von Kinderpalliativmedizin deckt sich mit dem ganzheitlichen Ansatz im Haus Christophorus, der körperliche, emotionale, kulturelle, spirituelle und soziale Bedürfnisse des Kindes berücksichtigt. Wie die Mitarbeiter mit den Kindern lachen, fühlen und leiden, das ist großartig. Mehr Ruhe, Geborgenheit, Wärme und Herzlichkeit geht nicht. Da ziehe ich meinen Hut. Chapeau!
Interview: Ludwig Simeth