Rosenheim/Brannenburg – Kein Sattel bitte, eine Decke reicht völlig: Die Buben und Mädchen wollen ihre Lieblinge ja spüren, riechen und genießen, den Pferden ins Fell greifen, sie streicheln, mit ihnen verschmelzen.
Reittherapie heißt das offiziell. Aber es ist viel mehr als das. Man muss sie selbst gesehen und erlebt haben, die großen Augen, leuchtend vor Glück, die kleinen Körper, wie sie sich entspannen – als ob es die Einschränkungen und Blockaden, die ihren Alltag prägen, nicht geben würde.
Einschlafen vor
lauter Entspannung
Da ist Hanne (9), die auf Tinker-Stute „Amica“ auf einmal ganz weit weg zu sein scheint. Mit entrückt-verzücktem Blick taucht sie ein in eine wunderbare Welt, gestützt von Reittherapeutin Marina Bäuerle (41), ein Fest für alle Sinne.
Oder Melanie (6), die – gezwungenermaßen – eine ganz andere Entspannungs- und Reittechnik anwendet. Sitzen kann sie nicht. Doch wenn das Mädchen mit den lockigen, schwarzen Haarzöpfen bäuchlings auf dem Rücken von Kaltblut „Micco“ liegt, die Handflächen auf dem Fell, dann wird ihm so warm ums Herz, dass es manchmal sogar einschläft – nicht vor Erschöpfung, sondern vor Entspannung.
Die wöchentlichen Reitstunden mit Marina Bäuerle aus Fischbach (Gemeinde Flintsbach) bringen gut auf den Punkt, worum es im Haus Christophorus und der Weihnachtsaktion „OVB-Leser zeigen Herz“ geht: In einer möglichst familiären Atmosphäre soll alles dafür getan werden, damit sich die 13 Kinder und Jugendlichen trotz ihrer schwerstmehrfachen Beeinträchtigungen so wohl wie möglich fühlen.
Der Kontakt zu Pferden ist dabei ein bedeutender Faktor, der mitunter zu bemerkenswerten medizinisch-therapeutischen Effekten führt: Wirbelsäule aufrichten, Gleichgewicht schulen, Konzentration fördern, Atmung verbessern, Muskulatur stärken oder Verspannungen lockern.
Kaltblut „Sahara“
hat die Ruhe weg
Leider mussten die Reitstunden im Corona-Jahr 2020 stark eingeschränkt und nun sogar auf null heruntergefahren werden. Den Kindern merkt man an, dass sie alle ihnen fehlen: „Amica“ und „Micco“ sowieso, selbstverständlich auch Kaltblut „Sahara“, eine Seele von Pferd, das auch die unkontrolliertesten Ausdrucksformen kindlichen Glücks – ein Jauchzer direkt ins Ohr oder Fußtritte in den Bauch – nicht aus der Ruhe bringt. Nicht zu vergessen „Merlin“, das ungarische Warmblut, temperamentvoll und ausgeglichen zugleich, und „Shadow“, das Quarter Horse, ein Sensibelchen im positiven Wortsinn.
Doch sicher kommen bald bessere Zeiten – und dann sollen noch mehr „Christophorus-Kinder“ die Pferde und das Ambiente auf dem „Koasahof“ von Katharina Wagner in Großholzhausen (Gemeinde Raubling) genießen dürfen. Die Zahl der Plätze für Buben und Mädchen mit schwerstmehrfachen Handicaps aus ganz Oberbayern von 13 auf 20 erhöhen: Diesem tollen Projekt ist „OVB-Leser zeigen Herz“ gewidmet.
Neben menschlicher Wärme und medizinisch-pflegerischer Kompetenz sind Kontinuität und Vertrautheit weitere Erfolgsfaktoren im Haus Christophorus. Kein Wunder also, dass die Formel „Jeder kennt jeden“ auch beim Reiten greift. 2016 ließ sich Bäuerle – große Pferdeliebhaberin schon als Kind – zur Reittherapeutin ausbilden. Im Haus arbeitet sie aber schon seit 23 Jahren als pädagogische Mitarbeiterin. Sie ist die Leiterin der Katharinagruppe.
Natürlich ist ihr Reitangebot für alle da, auch für die 28 Erwachsenen. Und für jene, die nicht auf einem Pferd liegen oder sitzen können, hat Bäuerle die „Begegnungstage“ erfunden. Da geht es eher ums Streicheln, Füttern oder Putzen in der „Wohlfühloase „Koasahof“: frische Luft, Wiesen, Bäume, Hunde, Katzen, Truthähne, Hasen, Hühner – und natürlich die Pferde, 90 insgesamt, davon etwa 20 für die Therapie geeignet, darunter auch „Merlin“, der Bäuerle gehört.
Pferd als Spiegel der
menschlichen Seele
„Das Pferd spiegelt die Seele des Menschen wider, führt uns auf eine positive Art Stärken und Schwächen vor Augen und begegnet uns ohne Vorurteile. Die Kinder spüren das“, sagt Bäuerle. Manchmal ist das so ein erhebendes Gefühl, dass sie in anderen Dimensionen schweben, Oder so beruhigend, dass sie einschlafen.
Weitere Berichte und Infos unter www.ovb-online.de/
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