Dornige Wege

von Redaktion

Zwischen Himmel und Erde

In den Gottesdiensten singen wir nicht mehr. Angesichts der verschärften Problemlage hat dafür wirklich jeder Verständnis. Orgel darf aber sein – und als am Sonntag von der Empore leise eine adventliche Melodie erklingt, trifft mich diese auf einmal mitten ins Herz.

Es ist ein uraltes Lied, das in seinen Ursprüngen aus dem 16. Jahrhundert stammt: „Maria durch ein Dornwald ging.“ In mir beginnt ein Film abzulaufen, und ich sehe verschiedene Gesichter vor mir, die in der vergangenen Woche genau solche dornigen Wege gegangen sind: Familien, die von einem geliebten Angehörigen Abschied genommen haben und andere, die vor den Scherben ihrer Beziehung oder ihres eigenen Selbstverständnisses stehen. Auf dem Weg durch den Dornwald, den dieses Lied in einem Bild beschreibt, begegnet man in den dürren und stechenden Zweigen der eigenen Leblosigkeit.

Ich frage mich, ob es der Klang dieser melancholischen Melodie ist, der bei mir diese innere Berührung auslöst? Selbst wenn wir das Lied nicht singen, so kenne ich doch den Text und weiß, dass in der dritten Strophe eine Auflösung kommt: „Da haben die Dornen Rosen getragen.“ Aus etwas scheinbar Abgestorbenem wächst auf einmal etwas Neues und kommt sogar zum Blühen. Das Adventslied verbindet diese Hoffnung mit dem Kommen Gottes auf diese Welt. Maria, der glaubende Mensch, muss aber erst einen Weg gehen.

Die Melodie schwingt noch ein paar Tage in mir weiter, denn diese Hoffnung wünsche ich nicht nur mir und den Menschen, denen ich in der vergangenen Woche begegnet bin, sondern der ganzen Welt.

Die Kolumnen von Hannelore Maurer sind nun als Buch erschienen. „Ein Jahr zwischen Himmel und Erde“ ist erhältlich in allen Geschäftsstellen der OVB-Heimatzeitungen.

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