Als am gestrigen Dienstag um 6.47 Uhr alle Kirchenglocken in der Stadt Bad Aibling zu läuten beginnen, befinde ich mich auf dem Weg zum Bahnhof. Ich will von dort mit dem Nahverkehrszug zu meiner Arbeitsstelle in Rosenheim fahren. Auf jener Strecke, auf der vor fünf Jahren zwölf Menschen ihr Leben bei einem der schwersten Zugunglücke in Deutschland verloren haben, 89 wurden zum Teil erheblich verletzt. Eine Tragödie, die für immer untrennbar mit der Geschichte der Stadt verbunden bleibt. Das Geläut ist für mich weit mehr als ein Zeichen gegen das Vergessen und der Verbundenheit im Gedenken an alle, denen dieses Unglück Tod, Leid und Verzweiflung gebracht hat.
Unbewusst lässt es mein Kopfkino anlaufen. Das ruft mir zahlreiche schreckliche Bilder von diesem Ereignis in Erinnerung, die ich als Redakteur der Heimatzeitung sichten musste. Es mischen sich wie selbstverständlich plötzlich längst ausgeblendete Eindrücke von manch tragischem Einzelschicksal hinzu, mit dem ich auf dieser Bahnlinie während meiner ehrenamtlichen Rettungsdienst-Tätigkeit für das Rote Kreuz konfrontiert worden bin.
Keine Gegensätze mehr
Weitergehen auf dem Weg hinein in den Tag und Innehalten sind für einen Moment keine Gegensätze mehr. Meine Gedanken blenden Alltagsroutine aus und sind bei den Opfern der Tragödie. Sie führen mir vor Augen, wie unser aller Leben in Sekundenschnelle völlig aus dem Gleichgewicht geraten kann.
Währenddessen schweift mein Blick in Richtung Morgenhimmel, an dem Helligkeit die Finsternis der Nacht zum Rückzug drängt. Dieses Wechselspiel am Firmament ist auf einmal mehr als nur ein Naturschauspiel. Mir erscheint es, als verkörpere es an diesem Tag auch ein Symbol für Hoffnung.