Rosenheim – Eine Rundfahrt durch die Region gleicht aktuell einem Wechselbad der Gefühle. In Rosenheim – mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von über 100 – ist die Stimmung außer bei Buchhändlern, Floristen und wenigen anderen frostig. Nur ein paar Kilometer weiter, außerhalb der Stadtgrenze, freuen sich Händler auf den Frühling und auf einen ersten wirklichen Schritt raus aus dem Lockdown. Eine Inzidenzzahl von unter 100 macht es möglich.
Enttäuschung
über Regierung
„Was haben wir der Regierung getan, dass die uns dermaßen bestraft“, schimpft Paul Adlmaier von Herrenmode Adlmaier und Vorsitzender des City-Managements Rosenheim. Noch am vergangenen Freitag hatte „Adlmaier for man“ via Facebook seine Vorfreude auf den terminlichen und streng geregelten Kundenkontakt kundgetan: „Wir haben alles auf Frühling umgestimmt und freuen uns schon sehr auf Euch.“ So hätte es laut Ankündigung vergangene Woche kommen können. Wären nur die Inzidenzzahlen besser. So kam mit Beginn der neuen Woche gleich die Ernüchterung: Rosenheim schon wieder über 100, Click & Meet – so heißt der besagte Kundenkontakt mit Terminvereinbarung auf Corona-Deutsch – schon wieder untersagt, der ganze Aufwand mit Personaleinsatz und Terminvereinbarungen vergebens.
Hoffnungsschimmer
für das Umland
Im Landkreis sind vorsichtige Öffnungen wie Click & Meet für Einzelhändler und Wechselunterricht an den Schulen drin. In der Stadt aber kehren eine nächtliche Ausgangssperre zwischen 22 und 5 Uhr, Distanzunterricht an den Schulen (außer für Abschlussklassen) und die Schließung der Kitas zurück (siehe Randspalte links). Das sind neben den bleibenden Einschränkungen für den Einzelhandel die wichtigsten Punkte der jüngsten Allgemeinverfügung für die Stadt Rosenheim. Nur wenige Kilometer weiter gedeihen erste Frühlingsgefühle. In Raubling freut sich Iko-Geschäftsführerin Tessa Irlbacher über die Sonne und den anhaltenden Outdoor-Trend. „Bei dem schönen Wetter sieht man schon viele Menschen radeln.“ Radfahren sei vergangenes Jahr schon ganz groß in Mode gekommen, nun kauften die Leute das nötige Zubehör, vom Fahrradhandschuh bis zum Helm. Für sie ist die vergangene Woche verkündete Lockerung mit der Möglichkeit, eine beschränkte Anzahl Kunden nach Online-Terminvereinbarung bedienen zu können, ein Hoffnungsschimmer. Click & Collect habe sich nicht gelohnt, der direkte Kontakt zum Kunden sei eben nicht zu ersetzen. So habe man denn die Mitarbeiter eiligst aus der Kurzarbeit geholt, einen Kalender zum Vereinbaren der Termine in die Homepage eingebunden und über soziale Netzwerke getrommelt, „damit wir fit fürs Frühjahr sind“, sagt sie.
Iko hat auch ein Geschäft in Salzburg, Irlbacher kennt also auch die Verhältnisse bei den Nachbarn in Österreich ganz gut. Was sie sich fragt: „Ist die Inzidenzzahl tatsächlich zum einzigen Anhaltspunkt geeignet?“ Und warum kommen die Österreicher beim Testen und vor allem beim Impfen besser voran? Verdachtsfälle würden bei den Nachbarn schneller entdeckt und isoliert, sagt Irlbacher. „Bei denen fühlt sich die Lage entspannter an als bei uns.“
Gleich mehrfach gestraft sieht sich dagegen Udo Siebzehnrübl. Der Sporthändler betreibt Intersportgeschäfte in Altötting, Rosenheim und München. Und hat überall mit Einschränkungen zu kämpfen. In Altötting immerhin fällt die Zahl wieder, dort scheint Hoffnung. In München aber und mehr noch in Rosenheim sieht sich Siebzehnrübl im Hintertreffen. „Am Samstag hätten wir noch Click & Meet machen können, da durften wir noch nicht. Am Montag hätten wir gedurft, da konnten wir aber nicht mehr, weil die Inzidenzzahl übers Wochenende so nach oben gegangen war.“ Bei seinen Geschäftsführern, so sagt er, liegen die Nerven blank, „es ist wirklich ein Albtraum, mit dieser Ungewissheit, wann wir wieder aufmachen können“. In Rosenheim muss er weiter auf Online-Versand setzen, „und damit machen wir trotz aufwendiger telefonischer Beratung gerade mal fünf Prozent von unserem normalen Umsatz“. Die wackeligen Rechnungen mit den Inzidenzzahlen – für Siebzehnrübl gleichen sie einem „Kartenhaus“. Auf großes Unverständnis stoßen die Maßnahmen und die Konzentration auf die Inzidenzzahl auch bei Maria Reiter von Trachtenmode Beo und gleichzeitig Rosenheimer Ortsvorsitzende des Handelsverbands Bayern. Sie hatte die Möglichkeit des vereinzelten Kundenkontakts nach Terminvereinbarung zunächst „als kleinen Schritt in die richtige Richtung“ begrüßt.
„Das ist schon
ein wenig Willkür“
Jetzt sieht es für sie so aus, als ob da zwei Schritte getan werden, und zwar in zwei Richtungen. „Das Blöde ist, dass die Einzelhändler in der Stadt die Einzigen sind, die gar nicht aufmachen dürfen, während das im Landkreis und überall in der Umgebung sonst anders ist.“ Sie spricht daher von Wettbewerbsverzerrung. Wie man die einen begnadigt und die anderen unter Verschluss hält, die Gastronomie sogar noch länger als alle anderen, und das alles, wie gesagt, wegen einer Zahl, findet sie unverständlich. „Das ist in meinen Augen schon ein wenig Willkür“, sagt sie.