Nicht gemacht für alte Menschen

von Redaktion

Irrfahrt und Terminhatz: Die Impf-Odyssee einer Tochter mit ihren betagten Eltern

Rosenheim – Die Impf-Odyssee von Marija Coric und ihren Eltern dauerte lang. Sie nervte. Sie kann aber als Beispiel dienen, und zwar dafür, was in Deutschland beim Impfen schiefläuft.

Die Eltern von Marija Coric gehören zu den Senioren mit höchster Priorität. Der Vater ist 86, die Mutter 84 Jahre alt, sie wohnen auf dem Land, in Rohrdorf, ein Problem, da der Vater seit einer Operation nicht mehr gerne fährt und die Mutter keinen Führerschein hat. Sie sind auf Öffentliche Verkehrsmittel angewiesen, die sie aber nicht nutzen möchten, solange sie nicht geimpft sind.

Es habe eine Zeit gedauert, den beiden einen Termin geben zu lassen, sagt die Tochter. Auch weil der mitzubringende ärztliche Bericht extra angefordert werden muss und nicht per E-Mail verschickt werden darf. Immerhin, die Termine kamen dann, die drei fuhren zum Impfzentrum in Rosenheim.

Was Marija Coric erlebte, ließ sie zweifeln. Am bürokratischen Überbau, aber auch an der Ausführung. Der Widerhall, das Stimmengewirr in der Inntalhalle: alles eine Zumutung für Senioren. „Beim Impfarzt war noch eine zweite Person, beide haben gleichzeitig auf meinen Vater eingefragt – der war komplett überfordert. Ein Blick in den Arztbericht hätte mehr gebracht.“

Den Bericht hatte sie zusammen mit Ausweis, Impfpass und Medikamentenliste auch mitgebracht, 20 Seiten für jedes Elternteil. „Im Impfzentrum bekommt man dann noch mehr Blätter.“ Alles umsonst: „Meine Mutter wurde wieder weggeschickt, weil sie zu der Zeit ein Antibiotikum einnahm.“ Drei Tage zuvor sei sie bei ihrem Hausarzt gewesen. Der habe im Hinblick auf die Impfung gesagt, das Antibiotikum sei kein Problem. „Wie kann ein Arzt sagen, man könne trotz Medikament impfen, und der andere sagt das Gegenteil?“

Schließlich habe der Arzt im Impfzentrum sie zu „einer Art Leitstand“ geschickt, um einen neuen Termin für die Mutter zu vereinbaren. Vergeblich. Dafür sei man hier nicht zuständig, bekam Marija Coric zu hören. Sie solle bei der Hotline anrufen.

Noch am selben Tag versuchte die Rohrdorferin ihr Glück. „Stundenlang kam nur das Besetztzeichen“, erinnert sie sich. Am nächsten Tag von morgens bis abends das Gleiche. Am dritten Tag sei sie zweimal in der Warteschleife gelandet, dann aber nach einigen Minuten rausgeflogen. Ihr Vater versuchte parallel dazu ebenfalls, jemanden ans Telefon zu bekommen. Auch er hatte keinen Erfolg. Zumal bei der Warteschleifenmusik jemand pfiff, was für Menschen mit Hörgerät jenseits der Schmerzgrenze liege, erklärt Coric.

Der fünfte Tag begann, wie der Vortag endete. Mehrere Versuche, jemanden zu erreichen, scheiterten. Am Nachmittag hatte die Tochter des Seniorenpaars schließlich Glück: Am anderen Ende der Leitung meldete sich die Stimme einer jungen Frau, der sie ihr Anliegen schildern konnte. Aber zu früh gefreut: Die Beraterin eröffnete ihr, dass sie am Telefon keinen Termin vergeben könne. Sie solle sich per E-Mail an das Impfzentrum wenden. „Ich bekomme im Impfzentrum den Hinweis, dass ich einen Termin bei der Hotline bekomme, versuche es dort fünf Tage lang und höre dann, dass man keine Termine vergeben kann.“

Sofort setzte sich Coric an den Computer und beantwortete alle geforderten Fragen. Erneuter Fehlschlag: Ein Termin wurde wieder nicht vorgeschlagen. Sie versuchte es bis spät in die Nacht – immer erfolglos.

Tags drauf wieder Anruf bei der Hotline. Diesmal klappte es beim ersten Versuch. Die Beraterin nannte ihr wenigstens den Grund, warum kein Termin vergeben werden konnte: Es sei kein Impfstoff vorhanden. Den Termin hat sie immer noch nicht.

Die OVB-Heimatzeitungen fragten nach. Termine, so heißt es vonseiten der Stadt, hingen von der Verfügbarkeit von Impfstoff ab. Die Impfhotline wiederum, an bis zu 15 Apparaten besetzt, habe bereits mehrere Tausend Bürger auf der Online-Plattform registriert, die keinen Computer oder Smartphone haben. „Für diese freundliche Unterstützung gibt es immer wieder Lob.“

Ihr Vater wird nächste Woche mit der zweiten Impfung drankommen, die Mutter irgendwann mit ihrer Erstimpfung, hofft Marija Coric. Viermal wird sie ihre Eltern letztlich begleitet haben. Auch etwas, was sie nicht versteht: Dass man bei der Online-Terminvereinbarung die Termine der Eltern nicht zusammenlegen könne. So müsse sie sich unnötig oft frei nehmen.

„Ich mache den Leuten hier keinen Vorwurf“, sagt sie, „die machen das, so gut sie können“. Aber irgendjemand habe sich da was einfallen lassen, was nicht funktioniert. Ein umständliches, kompliziertes und damit fehleranfälliges Impfsystem. Dabei könnte man das Impfen doch auch Hausärzten übertragen.

Der Meinung ist auch Thomas Bugl, Sprecher der Stadt Rosenheim, die das Impfzentrum zusammen mit dem Landkreis betreibt. „Ich bin seit Langem dafür, das System der Planwirtschaft abzuschaffen und das Impfen auch den Hausärzten zu überlassen.“

„Wir wären dabei“, sagt etwa Dr. Florian Bonke, Allgemeinarzt mit Corona-Schwerpunktpraxis in Flintsbach. „Das Impfzentrum macht an sich gute Arbeit, aber viele Menschen haben Angst davor und fürchten Probleme mit der Registrierung.“ Wann aber bekommen die Hausärzte das Signal für den Start? „Ich habe vom 1. April gehört“, sagt Bonke. Andere Hausärzte rechnen nicht vor Ende April damit. Wie es mit Terminen aussieht, die Frage ist für Hausärzte nicht leichter zu beantworten als für impfwillige Bürger.

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