Rosenheim – Wieder Lockdown, wieder Kontaktbeschränkungen. Harte Einschnitte statt smarter Öffnungen: Die Region Rosenheim reagiert genervt auf die Beschlüsse der Runde der Ministerpräsidenten. Was Hoffnung gibt: Bayerns Ministerrat ließ gestern sozusagen eine Überholspur öffnen. Rosenheim könnte mit etwas Glück schneller lockern als gedacht.
Denn es sollen Modellstädte für ein Testkonzept zur Öffnung einzelner Bereiche des öffentlichen Lebens ausgewählt werden. Das begrüße er ausdrücklich, sagte gestern Rosenheims Oberbürgermeister Andreas März. „Wir haben bereits mehrere Testzentren. Deshalb werden wir selbstverständlich unseren Hut als Modellstadt in den Ring werfen.“
Viel Rückenwind
für die Bewerbung
Für Rosenheims Vorreiterrolle setzt sich auch die Rosenheimer Bundestagsabgeordnete Daniela Ludwig (CSU) bei Ministerpräsident Söder ein: „Wir alle, die Stadt, der Landkreis, die Gastronomie und der Einzelhandel haben ein sehr hohes Interesse daran.“ Relativ hohe Inzidenzzahlen, die Nähe zu Österreich und die lange Zwangspause des Einzelhandels empfehlen nach ihren Worten Rosenheim genauso wie die Teststationen, die seit Montag laufen. „Vielleicht kann uns Markus Söder eine Chance geben“, sagt Ludwig, „das wäre toll.“
„Ich hoffe sehr darauf“, sagt auch Rosenheims Zweiter Bürgermeister Daniel Artmann. Rosenheim befinde sich in einer herausfordernden Lage und leide, sagt er. „Kunst, Kultur, Bildungseinrichtungen, der Einzelhandel und viele weitere Bereiche lechzen nach Öffnungen.“ Klaus Stöttner, tourismuspolitischer Sprecher der CSU-Landtagsfraktion, sieht Rosenheim für den System-Test „prädestiniert“. Stöttner weiter: „Ich habe die große Hoffnung, dass wir ausgewählt werden.“
Bereits vor einer Woche hatte Andreas März im Interview mit den OVB-Heimatzeitungen ein Konzept skizziert. Er hatte ein Umdenken und die Abkehr von der Inzidenzzahl gefordert. In den Tagen danach hatten auch Rosenheims Landrat Otto Lederer sowie seine Kollegen aus Traunstein und Mühldorf, Siegfried Walch und Max Haimerl, Vorschläge unterbreitet. Gemeinsamer Nenner: weg von der starren Inzidenzzahl-Regelung. Und hin zu flexibleren Konzepten der Pandemie-Eindämmung, etwa mit massenhaften Schnelltests.
Dabei gehe es nicht mehr primär darum, „schneller zu öffnen, sondern es geht um einen Systemwechsel“, betonte Otto Lederer gestern auf Anfrage der OVB-Heimatzeitungen. Impfquote, Auslastung des Gesundheitssystems, Virusvarianten, 7-Tage-Inzidenz oder lokale Ausbruchsgeschehen – alles sollte mit beachtet werden. Öffnungsschritte sollten von „Teststrategien, Hygienekonzepten und Nachverfolgung“ begleitet werden.
„Da haben wir
viel verpennt“
Zu „hundert Prozent“ trägt Theresa Albrecht, Hotelchefin aus Rohrdorf und Kreisvorsitzende des Hotel- und Gaststättenverbands, den Rosenheimer Vorschlag mit. Auch der IHK-Regionalvorsitzende Andreas Bensegger würde unterstützen, was Hoffnung auf Entspannung macht. „Öffnungsschritte mit minimalem Risiko, das finden wir nach wie vor wichtig“, sagt der Rosenheimer Unternehmer. „Wenn neue Mutationen kommen, wollen wir drei Jahre lang auf und zu machen?“ Man müsse mehr zulassen und ausprobieren, im Rahmen sinnvoller Konzepte, mit kundiger Begleitung und „ein wenig mehr Digitalisierung“, sagt Bensegger. „Da haben wir viel verpennt.“
Die Ansätze aus der Region erreichen die Regierung des Freistaats offenbar an einem kritischen Punkt. Denn die Beschlüsse, die Kanzlerin Merkel und die Runde der Ministerpräsidenten in Berlin fällen, sind vielen Menschen nur noch schwer zu vermitteln. „Ich fürchte, dass die Entscheidungsträger Vertrauen verspielen“, sagt Thomas Geppert, der als CSU-Stadtrat in Bad Aibling und als Landesgeschäftsführer des Hotel- und Gaststättenverbands an der Schnittstelle zwischen Politik und Wirtschaft steht. „Ein rabenschwarzer Tag“, sagt Paul Adlmaier, Besitzer eines Herrenmoden-Geschäfts und Vorsitzender des City-Marketings Rosenheim.
Flüge nach Mallorca, aber keine Ausflüge in die Region? Der „Malle-Freibrief“löst Kopfschütteln aus. „Enttäuscht“ zeigte sich Klaus Stöttner. Noch nicht einmal von der Idee des kontaktarmen Urlaubs in der Ferienwohnung habe die Bundeskanzlerin etwas hören wollen.
Einen „Schlag ins Gesicht“ ihrer Branche verspürt da Christina Pfaffinger vom Chiemsee-Alpenland-Tourismus. „Bitter“ findet Theresa Albrecht, dass die einen zu Hause bleiben sollen, während die „staatlich subventionierten Fluglinien“ die anderen auf die Party-Insel bringen. „Ein solcher Quatsch“, schimpft Paul Adlmaier. „Ich kann doch nicht sagen, fliegt fröhlich nach Mallorca, während die Menschen hier zu Hause sitzen, nur eine Kontaktperson sehen dürfen und nicht mal zum Spitzingsee fahren sollen.“
Es gibt noch
einiges zu klären
Auch die Verwandlung von Gründonnerstag und Karsamstag in Feiertage sorgt für Irritationen. Wie schlägt sich das auf dem Arbeitszeitkonto nieder, wie reagiert man auf die Unterbrechung von Lieferketten? Da gibt es noch einiges zu klären. „Dafür fehlt mir das Verständnis“, sagt Bensegger. „Das ist einfach zu kurzfristig.“