Traunstein/Bernau – Ein Geheimtipp unter Schülern im Achental war ein 30-jähriger Drogenverkäufer aus Bernau. Die Erste Strafkammer am Landgericht Traunstein mit Vorsitzender Richterin Heike Will verhängte gegen den afghanischen Staatsangehörigen jetzt eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten – wegen 129 Fällen der Betäubungsmittelabgabe an Jugendliche. Der Asylbewerber, seit 2014 in Deutschland, hatte 2019 und 2020 in acht Tatkomplexen Minderjährige mit Ecstasy-Tabletten und Haschisch beliefert (wir berichteten).
Vermieter findet Plastikkanister
Der Prozess war bereits in vollem Gang, als der Vermieter des Angeklagten zufällig am 17. Februar 2021 in seinem Garten in Bernau am Boden einen gelben Plastikdeckel sah. Der Verschluss gehörte zu einem vergrabenen Fünf-Liter-Plastikkanister, darin knapp 150 Ecstasy-Tabletten und etwa 87 Gramm Haschisch.
Die Ermittler konnten das Drogendepot eindeutig dem 30-Jährigen zuordnen, befanden sich doch seine Genspuren an einer Verpackung. Dieser Rauschgiftfund während der Hauptverhandlung mündete in ein weiteres Verfahren gegen den 30-Jährigen. Das Gericht stellte es jedoch mit Blick auf das Gewicht der ursprünglichen Anklage auf Antrag von Staatsanwalt Josef Haiker ein.
Die Zahl der Einzelfälle an Betäubungsmittelverkäufen wich im Urteil erheblich nach unten ab von den zunächst 185 Fällen der unerlaubten Abgabe von Haschisch, Marihuana und Ecstasy-Tabletten an Jugendliche aus der Anklage. Das Gericht stellte entsprechend der Aussagen der Jugendlichen aus Grassau, Marquartstein und Schleching 56 Einzelfälle ein. Die jungen Konsumenten hatten den 30-Jährigen allesamt schwer belastet. Die Zeugen, gegen die separate Verfahren eingeleitet worden waren, standen vor der Ersten Strafkammer auch zu ihren eigenen Taten und machten „reinen Tisch“. Der Angeklagte rang sich erst am vierten Prozesstag zu einem Geständnis durch.
Staatsanwalt Josef Haiker ging im Plädoyer auf fünf Jahre Freiheitsstrafe von 66 Fällen der unerlaubten Abgabe von Betäubungsmitteln und in 63 weiteren Fällen von gewerbsmäßigen Fällen aus. Der 30-Jährige habe in den drei Gemeinden einen schwunghaften Handel mit Drogen betrieben. Alle Zeugen seien glaubhaft, hätten sich allesamt selbst belastet.
Bei den positiven Strafzumessungsaspekten verwies Haiker darauf, häufig sei die Initiative zu den Käufen von den Minderjährigen ausgegangen. Einige von ihnen hätten vorher schon Erfahrung mit Drogen gehabt. Zu sehen seien das Geständnis des Angeklagten, auch wenn es sehr spät erfolgt sei, sein bislang straffreies Leben, die jeweils sehr geringen Einzelmengen, die belastende Situation in der Untersuchungshaft und gesundheitliche Probleme des Mannes. Strafschärfend zu werten seien der lange Tatzeitraum und das Tatmotiv: „Er ist kein Drogenkonsument und wollte nur Einnahmen erzielen.“
Die Verteidiger, Julian Praun aus Traunreut und Dr. Markus Frank aus Rosenheim, beantragten eine Gesamtstrafe von nicht über zweieinhalb Jahren als angemessen und ausreichend – vor allem wegen der gegenüber der Anklageschrift deutlich reduzierten Zahl der Einzelabgaben. Sie hoben das Geständnis ihres Mandanten heraus, das eine aufwendige Beweisaufnahme und ein Sprachgutachten erspart habe. Bei der Täterpersönlichkeit sei zu berücksichtigen: „In Afghanistan geht man anders mit Drogen um als bei uns.“ Zudem schwebe über dem 30-Jährigen das „Damoklesschwert der Ausweisung“.
Der Asylbewerber bat im „letzten Wort“ um eine „Chance“. Er bedauere sein Handeln, wolle ein einwandfreies Leben führen und alles wieder gutmachen, auch wenn er das momentan nicht könne.
Anfragen der Jugendlichen
Wie Vorsitzende Richterin Heike Will im Urteil ausführte, habe sich der Angeklagte eine Einnahmequelle von einem gewissen Umfang und von einer gewissen Dauer verschafft. Die Kammer sei bei allen Fällen zu „minderschweren Fällen“ gelangt, wie es auch die Verteidiger gefordert hatten. Bei Marihuana habe die größte Einzelmenge fünf Gramm betragen, bei den Ecstasy-Tabletten maximal zehn Stück. Die Jugendlichen hätten von sich aus nach Drogen gefragt.
Die Vorsitzende Richterin griff die Argumente des Anklägers wie des Staatsanwalts auf. Bei den Drogen sei vor allem Marihuana, eine „weiche Droge“, abgegeben worden, während Ecstasy eine „mittelgefährliche Droge“ sei. Der Angeklagte sei unkritisch mit den Konsumenten umgegangen, habe einfach auf telefonische Bestellung geliefert.