„Da geht es einem nicht gut“

von Redaktion

Interview Bergwacht-Bereitschaftsleiter Anton Wendlinger zu schwierigen Einsätzen und Trauerarbeit

Oberaudorf – Sie riskieren viel, manchmal auch vergebens: Die Bergwachtler haben keine einfache Aufgabe. Hart war der April vor allem für die Bereitschaft Oberaudorf-Kiefersfelden, drei tödliche Unfälle setzen den Rettern zu. Wie man damit umgeht – das berichtet Oberaudorfs Bereitschaftsleiter Anton Wendlinger im Interview.

Die Oberaudorfer Bergwacht war in den vergangenen Wochen besonders stark beansprucht, vor allem durch drei tödliche Unfälle allein im April. Wie kommen die Retter mit der Belastung zurecht?

Darauf wird man ihm Rahmen der Ausbildung vorbereitet, und auch unsere Notfallmediziner und das Kriseninterventionsteam Berg (KIT Berg) bereiten unsere Mitarbeiter darauf vor. Auf das KIT können die Leute von der Bergwacht immer zurückgreifen.

Wie aber gehen die Mitarbeiter individuell damit um, wenn sie einem Menschen nicht mehr helfen können?

Das ist sehr unterschiedlich. Es gibt Mitarbeiter, denen geht das spürbar nahe. Andere wirken eher distanziert.

Unberührt?

Nein, die lässt das ganz und gar nicht unberührt. Die nimmt das schon mit. Aber sie gehen sozusagen professionell damit um. Auch nach den letzten Einsätzen haben wir das gemerkt. Und, wie gesagt, da hilft uns auch das Kriseninterventionsteam.

Gibt es Einsätze, die einen besonders mitnehmen?

Wissen Sie, wenn sie einen Toten ins Tal bringen, den Sie kennen, dann nimmt Sie das besonders mit.

Wie sind Sie mit dem Unfall von Johann Angerer am Großen Traithen umgegangen, einer geachteten Persönlichkeit in Oberaudorf?

Ich habe meine Probleme mit dem Kriseninterventionsteam aufgearbeitet. Da geht es einem nicht gut, so viel kann ich Ihnen sagen. Wir waren zusammen aufgewachsen.

Ist das nur so ein Gefühl, oder häufen sich die Einsätze in den vergangenen Monaten? So viel, glaube ich, war in den Bergen noch nie los.

Sie haben Recht, so viele Menschen waren noch nie unterwegs. Aber wir haben deswegen nicht gleich mehr Einsätze.

Sind die Menschen besser ausgebildet, oder woran liegt das?

Sie sind teilweise besser ausgebildet, vor allem besser ausgerüstet, sicher auch vorsichtiger und umsichtiger. Sie müssen aber auch bedenken, dass für uns die Einsätze in den Skigebieten ausgefallen sind, weil es keinen Liftbetrieb gab. Ich würde sagen, die Zahl der Einsätze ist gleich geblieben.

Da gibt es diejenigen, die seit jeher in die Berge gehen. Und was ist mit den vielen, die es in Corona-Zeiten auf einmal ins Freie drängt, die Menschen, die nicht gut vorbereitet sind?

Bei etlichen, die zurzeit in die Berge gehen, nun ja, da stellen sich einem schon Fragen. Aber ob das mehr als früher sind. Es sind mehr Menschen in den Bergen unterwegs, da werden sicherlich auch mehr Untrainierte dabei sein. Vor allem, da die Grenzen geschlossen sind. Da ist auch der Druck bei uns in den Bergen viel höher als sonst. Es ist ja auch verständlich, dass die Menschen rauswollen.

Wir haben über die besonderen Belastungen gesprochen. Haben Sie bei der Bergwacht Nachwuchssorgen?

Nachwuchssorgen? Nein, die haben wir bei der Bereitschaft Oberaudorf überhaupt nicht. Zum Glück. Wir haben eine sehr motivierte junge Truppe, und über die Mund-zu-Mund-Propaganda kommen immer wieder junge, sehr fähige Leute zu uns. Wir freuen uns natürlich trotzdem über jeden begeisterungsfähigen Menschen, der zu uns kommen möchte.

Was bieten Sie denn?

Eine fundierte alpine Ausbildung, desgleichen eine fundierte Ausbildung in Erster Hilfe und etwas, was man nicht kaufen kann: Freunde und Kameraden und gemeinsame Herausforderungen. Diese Erfahrungen haben bei Weitem nicht immer mit Schmerz oder Trauer zu tun, sondern bescheren einem manchmal auch eine Freude, wie man sie nur in den Bergen erlebt.

Interview Michael Weiser

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