Rosenheim/Traunstein – Der Anruf kam mitten in der Nacht. Luise Steinbacher hob ab. Ihr Arzt war dran, er fragte: „Frau Steinbacher, sind Sie gesund? Wir hätten ein Organ für sie.“ Nachdem sie aufgelegt hatte, war sie baff, überfordert, ängstlich. Die Freude kam später. Sie packte ihre Sachen zusammen und fuhr für die Operation in die Klinik. So erzählt es Luise Steinbacher heute. Sie erinnert sich noch genau an den Tag, der ihr Leben verändert und vor allem verlängert hat. Der Tag, an dem sie eine Spenderniere transplantiert bekommen hat.
Blut und
Eiweiß im Urin
Die ersten 40 Jahre ihres Lebens hat sie unbeschwert verbracht. Sie bekam Kinder, gründete eine Familie. Alles lief gut. Anfang der 90 er-Jahre wurde die heute 69-Jährige aus dem Landkreis Traunstein krank, hatte Blut und Eiweiß im Urin. Ihre Nieren wurden immer schlechter, die Ärzte vermuteten eine verschleppte Nierenbeckenentzündung als Kind.
Luise Steinbacher musste zur Dialyse, eine künstliche Blutwäsche, bei der überschüssiges Wasser und Giftstoffe aus dem Körper entfernt werden. Ein Prozess, den normalerweise die Nieren übernehmen. Die Dialyse könne die Funktion dieser Organe aber nicht vollständig ersetzen, sagt sie. Sechs Jahre ging Luise Steinbacher zur Dialyse, dreimal die Woche, für jeweils viereinhalb Stunden. „Man muss sein ganzes Leben danach ausrichten“, sagt sie.
Währenddessen wartete sie auf eine Spenderniere. Aber es sei kein aktives Warten gewesen, nichts, woran sie jeden Tag dachte. „Ich war froh, dass die Dialyse funktioniert hat.“ Die neue Niere gab der 69-Jährigen ihr normales Leben zurück. „Ich bin ewig dankbar für die Organspende. Als ich das erste Mal krank wurde, hätte ich nie gedacht, dass ich so alt werde, wie ich jetzt bin.“
Doch man darf nicht glauben, dass mit der Spende das Problem für immer gelöst ist. Spenderorgane funktionieren nicht ewig. Die Lebensdauer von Nieren liegt zum Beispiel im Schnitt bei 15 Jahren. Es kann sein, dass der Körper das Organ irgendwann abstößt. So war es auch bei Steinbacher. Ihre Niere hat nach 13 guten Jahren versagt. Ihr Blutdruck sei immer weiter gestiegen, trotz Medikamente. Das habe die Niere beschädigt.
Danach sagten ihr die Ärzte, dass sie Steinbacher nicht mehr auf die Warteliste für ein neues Spenderorgan setzen. „Ich war schockiert“, erinnert sie sich. „Aber ich habe das vollkommen verstanden.“ Sie hatte damals schon zwei neue Herzklappen bekommen. Bis heute muss sie deswegen Blutverdünner nehmen. Die Operationen und die jahrelange Dialyse haben Spuren an ihrem Körper hinterlassen. Sie will, dass jemand eine Niere bekommt, der gute Chancen hat, das Organ zu behalten.
Für sie bedeutet die Entscheidung der Ärzte aber auch: „Dialyse bis zum letzten Atemzug“. Sie hat das akzeptiert. Steinbacher ist froh, dass es die Möglichkeit dazu gibt, das betont sie immer wieder. Dass sie die Chance hat, länger zu leben und noch mehr zu erleben – vor allem mit ihren Enkeln. Weil sie das alles durchgemacht hat, findet sie es wichtig, dass die Menschen über das Thema Organspende genau nachdenken. „Jeder kann in die Lage kommen, ein Organ zu brauchen. Man sollte darüber nachdenken, ob es nicht egoistisch ist, eins zu wollen und selbst aber nicht zum Spenden bereit zu sein.“ Vor allem aber sollte man mit den Angehörigen darüber sprechen – für den Ernstfall.
Das findet auch Florian Heinz. Der Facharzt für Anästhesie ist seit gut eineinhalb Jahren der Transplantationsbeauftragte der Romed-Kliniken in der Region Rosenheim. In den Krankenhäusern des Verbundes werden lediglich Organe entnommen, die dann in speziellen Zentren transplantiert werden. Innerhalb des Romed-Verbundes schult er seine Kollegen und hält Kontakt zu den Intensivstationen.
In seiner Zeit als Beauftragter habe es bei Romed noch keine Entnahme gegeben, sagt der 41-Jährige. Doch er fühlt sich gut vorbereitet, falls es dazu kommen sollte. Denn als Transplantationsbeauftragter braucht es eine spezielle Ausbildung. Man lernt die rechtlichen und medizinischen Grundlagen rund um eine Organspende, ist beim Prozess der Entnahme dabei und simuliert Angehörigengespräche. Das sei einer der wichtigsten Punkte des gesamten Prozesses.
Nachricht mit
Empathie überbringen
Um im Falle eines Hirntods die Nachricht „möglichst schonend“ zu überbringen, braucht es vor allem Empathie. Und den richtigen Ton. „Das ist nicht einfach. Man muss sich in die Menschen schon richtig reinfühlen können“, sagt er. Er selbst würde seine Organe spenden – „zu 100 Prozent“.
Gerade weil er weiß, dass es in Deutschland „ein großes Missverhältnis“ gibt, zwischen Spendern und den Menschen, die ein neues Organ brauchen.
Steinbacher hatte Glück. Doch es gibt immer Menschen, die keinen Anruf mit der Nachricht von einer Organspende bekommen. Sie bleiben auf der Warteliste, bis es zu spät ist. In Deutschland waren es laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung im vergangenen Jahr 767 Personen.