Traunstein – Die Erinnerung wird schwächer, viereinhalb Jahre nach dem Horrorunfall am 20. November 2016 auf der Miesbacher Straße in Rosenheim wird der Hergang wohl nie mehr ganz geklärt werden. Das zeigte der zweite Tag der Revisionsverhandlung zum „Samerberg-Prozess“ vor dem Landgericht Traunstein.
Die gestrige Aussage von Daniel R., als Mitverursacher des tödlichen Autounfalls bereits rechtskräftig zu einer Gefängnisstrafe ohne Bewährung verurteilt, brachte kaum größeren Erkenntnisgewinn. Auch Unfallfahrer Simon H. offenbarte Lücken. Weil er nach Ansicht von Sebastian M.s Anwältin nicht zufriedenstellend antwortete und sich seine Befragung hinzog, wurde sie vertagt. Der Termin 15. Juni für die Urteilsverkündung könnte damit kippen.
Der 27-jährige Kolbermoorer Daniel R. blieb im Wesentlichen bei der Darstellung des Abends, die er zuletzt auch bei der Berufungsverhandlung gegeben hatte: Er habe nichts getan, um ein Wiedereinscheren des Golfs, der anschließend frontal in den Kleinwagen mit drei jungen Frauen aus Samerberg prallte, zu verhindern. Widersprüche, die bereits im Protokoll der ersten Verhandlung vor dem Amtsgericht Rosenheim nachzulesen sind, erklärte er unter anderem mit dem Schockzustand bei der ersten Vernehmung.
Formfehler führt
zu Neuauflage
Die Revision hatte der Anwalt des zweiten mutmaßlichen Mitverursachers Sebastian M. beantragt, wegen eines Formfehlers während der Berufungsverhandlung verwies das Bayerische Oberste Landesgericht seinen Fall zurück ans Landgericht Traunstein.
Daniel R. belastete bei dieser Wiederaufnahme nochmals den eigentlichen Unfallfahrer Simon H. (28). „Mir kam es so vor, als ob der H. uns provozieren wollte“, sagte er. „Das ist mir im Nachhinein aufgefallen.“ Die neuen Eindrücke erklärte R. mit einer Therapie, der er sich in der Justizvollzugsanstalt unterziehe, um die verstörenden Ereignisse zu verarbeiten.
Rechtskräftig verurteilt und daher ebenfalls als Zeuge nach Traunstein vorgeladen war auch Unfallfahrer Simon H. (28). Er habe sich „leider entschlossen, diese BMW zu überholen“, erzählte er gestern mit leiser Stimme. Als er wieder einscheren wollte, sei die Lücke zwischen dem BMW von Daniel R. vorn und dem BMW des Angeklagten Sebastian M. hinten zu klein gewesen. Deswegen habe er sich entschieden, den vorderen BMW auch noch zu überholen. „Der vordere Wagen hat dann beschleunigt“, erzählte H.
Er habe in diesem Augenblick auf den vorderen BMW geschaut, um sich darüber klar zu werden, was dessen Fahrer machen werde. In diesem Augenblick habe die Beifahrerin zu schreien begonnen, er habe daraufhin die entgegenkommenden Lichter gesehen, gebremst und versucht, das Lenkrad nach links zu reißen. Zu spät: Sekundenbruchteile später prallte sein Golf in den Nissan mit den jungen Samerbergerinnen.
M.s Anwältin Iris Stuff hatte zuvor eine alte These erneut ins Spiel gebracht. Der eigentliche Unfallfahrer habe überhaupt keine Anstalten gemacht, seinen Überholvorgang abzubrechen, weil er sich auf einer Schnellstraße gewähnt habe. Simon H. sagte, er habe gewusst, dass er sich nicht auf einer Schnellstraße befinde. Die Verteidigerin sprach später die Möglichkeit an, Simon H. habe sich unter anderem durch die Gegenwart seiner Beifahrerin ablenken lassen. Sie befragte Simon H. überhaupt äußerst hartnäckig – so hartnäckig sogar, dass manche Kollegen erste Zeichen von Genervtheit zeigten.
Am Vormittag hatten die Beifahrer in den BMW ausgesagt. Felix C., Beifahrer von Sebastian M., erzählte wie anschließend Antonio L., Beifahrer von Daniel R., dass erstens die Lücke groß genug gewesen sei und sie sich zweitens keinen Reim auf das Verhalten des Golf-Fahrers hätten machen können. „Warum macht er nichts, warum reagiert er denn nicht?“ , das habe er sich unmittelbar vor der Kollision gedacht, sagte C.
Schwierigkeiten
bei den Details
Die meistgehörte Aussage der Zeugen gestern war, dass die Erinnerungen schwänden. „Ich kann es mittlerweile nicht mehr einschätzen. Es ist so lange her“, sagte C., nach einem Detail befragt. Auch Simon H. sprach von nachlassender Erinnerung. Über was er sich aber im Klaren sei: Es seien zwei Menschen gestorben, „und ich war daran nicht unschuldig“.