Traunstein – Nach all den Zeugen, die Erinnerungslücken einräumen mussten, kam am fünften Tag der Neuauflage des sogenannten Samerberg-Prozesses ein Mann zu Wort, der gerne vergessen würde. Tobias M., Ersthelfer an der Unfallstelle, hat, wie er mit brüchiger Stimme vor Gericht berichtet, nach wie vor die Bilder in seinem Kopf. Es sind Bilder, die ihn den Abend des 20. November 2016 immer wieder erleben lassen.
Einmal sieht er, so erzählt er vor dem Landgericht Traunstein, eine Frau auf einer Terrasse sitzen, Kopf nach vorne gebeugt, die Haare sind nach vorn gefallen und verdecken das Gesicht. Harmlos das alles, doch versetzt ihn die Szene schlagartig in jenen fatalen Herbstabend und damit in einen „Schockzustand“, wie er sagt. Genau das sei der Anblick gewesen, der sich ihm bot, als er die linke vordere Türe des grünen Nissan der Frauen aus Samerberg geöffnet habe. So habe er die leblose Fahrerin vor sich gesehen, den Kopf nach unten gesunken, die Haare vorm Gesicht.
Tobias M.s Aussagen machen deutlich, welche Verwüstungen ein solcher Unfall sogar in zufälligen Zeugen anrichten kann. Er habe in einer Therapie an der Bewältigung seiner Eindrücke vom Unfallort gearbeitet, ganz hinter sich lassen könne er sie nicht. Eine weitere Zeugin, die wohl erste Helferin am Unfallort, äußert sich angefasst noch im Abstand von viereinhalb Jahren.
„Sind Sie so gleichgültig?“
Einige Zeugen wirken auf die Vorsitzende Richterin Heike Will teilnahmslos. Etwa Igor P., Mitglied der Whatsapp-Gruppe „Bandidos“, einer Clique, zu der auch Daniel R., Sebastian M. und ihre Beifahrer gehörten. P. war von der Verteidigung per Beweismittelantrag ins Spiel gebracht worden. Als Kumpel, der den Angeklagten Sebastian M. und den rechtskräftig verurteilten Daniel R. von der Polizei nach Hause gefahren habe, sollte er etwas bezeugen: Dass die beiden im Auto beteuert hätten, der Polizei die Wahrheit gesagt zu haben.
Nun sagt Igor P, sich überhaupt an keine Gespräche erinnern zu können. Auch Manuel S., ebenfalls Mitglied der Gruppe, weiß von seinem Besuch an der Unfallstelle nichts Tiefschürfendes zu berichten. „So gleichgültig sind Sie?“, wundert sich Heike Will.
Dirk-Jürgen E. erzählt erneut und lang und breit, wie ihm ein anderer Zeuge, Marcus W., von Provokationen und Absprachen der Beschuldigten berichtet habe. So wortreich der Auftritt des einen, so verwirrend die Aussage von Marcus W., der derlei Insider-Wissen bestreitet und sich derart in Widersprüche verwickelt, dass ihn Richterin Will fragt, ob er zum Wichtigtun neige.
Hat sich der Unfallfahrer im Charakter der Miesbacher Straße getäuscht und Gegenverkehr nicht erwartet? Richterin Will verliest eine frühere Aussage, in der H. von zwei Spuren in jede Richtung spricht. Es klingt, als sei H. an jenem Abend auch mal auf der B15 unterwegs gewesen. Wann? „Es ist so lange her“, sagt Simon H. immer wieder.