Traunstein/Rosenheim – Dichter am Geschehen ist kaum jemand gewesen: Am sechsten Tag der Neuauflage des sogenannten Samerberg-Prozesses vor dem Landgericht Traunstein sagt die Beifahrerin von Unfallfahrer Simon H. aus. Sie berichtet über die letzten Sekunden vor dem Frontal-Crash am 20. November 2016, bei dem zwei junge Frauen vom Samerberg starben.
Simon H. muss nach den Worten der Zeugin gewirkt haben, als habe er eine einsame und unverständliche Entscheidung gefällt. Der Golf habe plötzlich beschleunigt, es habe sie in den Sitz gedrückt, erstaunt habe sie Simon H. angesehen. „Er hat nur ganz starr nach vorne geschaut, ganz starr“, berichtet sie über den fatalen Überholvorgang. Sie habe noch das Heck des hinteren BMW gesehen, dann habe sie wieder nach vorn geblickt. „Da habe ich das grelle Licht gesehen, Dann war ich weg“.
Zeugin antwortet
mit vielen Details
Der hintere BMW, das war der Wagen von Sebastian M., nach viereinhalb Jahren noch immer und schon wieder auf der Anklagebank, weil seine Haftstrafe vom Berufungsprozess 2019 kassiert und der Prozess an das Landgericht Traunstein zurückverwiesen worden ist (siehe Kasten). Währenddessen ist die Bewährungsstrafe von einem Jahr und acht Monaten für Simon H. bereits Vergangenheit.
Die Beifahrerin, damals 40 Jahre alt, kann bis zu ihrem Blackout noch verhältnismäßig detailliert berichten. Von Simon H., der am Mittwoch zur Fortsetzung seiner Zeugenaussage bei der Neuauflage des Berufungsprozesses geladen gewesen war, zeichnete sie kein allzu freundliches Bild. Als sie in dem Wrack des VW Golfs wieder erwacht sei, habe sie ihn neben dem Auto stehen sehen. Er habe sich an sie gewandt, sie aber lediglich gefragt, ob sie wisse, wo sein Mobiltelefon sei. Nach ihrem Zustand habe er sich nicht erkundigt. „Er hat sich bis heute nicht bei mir entschuldigt“, sagt sie mit leiser Stimme.
Vieles von dem, was am gestrigen Donnerstag und in den Verhandlungstagen zuvor gesagt worden ist, kann man bereits in den Akten der Vorgängerprozesse in Rosenheim und Traunstein nachlesen. Nicht aber die Aussage von Daniel S., der erstmals vor Gericht aussagt. Nach seinen Worten muss er mit der Erste am Unfallort gewesen sein. Nicht genug damit: Er soll auch den Unfall gesehen haben.
Was er zu sagen hat, klingt zunächst sensationell. Der Golf sei „ein gefundenes Fressen“ für die Fahrer der schwarzen BMW gewesen. Der bereits rechtskräftig verurteilte Daniel R. und der Angeklagte Sebastian M. hätten demnach sozusagen ihr Spielchen mit Simon H. getrieben. „Ich habe schon gesehen, dass die beiden BMW mit dem Golf eins ausfahren wollten“, heißt es in einer zuvor protokollierten Aussage des Raublingers. Er will auch gesehen haben, dass die Lücke zwischen den beiden schwarzen Fahrzeugen für ein Einscheren des roten Golfs nicht ausgereicht habe.
Die Aussage des neuen Zeugen scheint Simon H.s Aussage zunächst geradezu sensationell zu belegen. Allerdings lassen die Vorsitzende Richterin Heike Will und Staatsanwalt Jan Salomon kaum Zweifel daran, für wie glaubwürdig sie die Schilderung des Raublingers halten. „Andere Zeugen haben mich gewarnt, dass Sie ein bisserl ein Geschichtenerzähler seien“, fragt ihn Salomon. „Ist dem so?“
S. erzählt, wie die Autos der Unfallbeteiligten überholt hätten. Kurz darauf hätten die Fahrer der BMW „so ein komisches“ Fahrtverhalten gezeigt, sagt er, sie hätten gebremst, beschleunigt, gebremst, beschleunigt und so fort. „Und das haben Sie aus 200 Metern Entfernung gesehen?“, zweifelt Richterin Will.
Stille nach
der Kollision
Ihren Unglauben, dass kein Zeuge Daniel S. wahrgenommen hat, obwohl der doch angeblich direkt am Unfallort stehen geblieben sei, kann sie nicht verbergen. Salomon macht dem Zeugen klar, dass ihm Schwierigkeiten drohen: „Sie sind augenscheinlich im Begriff, eine Falschaussage zu machen.“ Daniel S. will nach dem Unfall in seinem Auto sitzen geblieben sein. Direkt nach der Kollision habe Stille geherrscht, „dann ging das Geschrei los“. Kommende Woche soll dann ein Gutachter versuchen, die Aussagen des neuen Zeugen einzuordnen.
Die Wende im Berufungsverfahren gegen Sebastian M. wegen fahrlässiger Tötung bleibt also aus. Weit über zwei Stunden wurde der neu aufgetauchte Zeuge von Richterin Will, Staatsanwalt Salomon und Rechtsanwältin Iris Stuff gründlich ausgefragt. Bei den viereinhalb Jahren, die seit dem Unfall vergangen sind, dürften diese 120 Minuten keine Rolle mehr spielen.
Der nächste Prozesstag ist für kommenden Dienstag, 15. Juni, angesetzt. Das Urteil soll bereits kommenden Freitag fallen.