Inspirierend gestrandet

von Redaktion

Wie zwei Rosenheimer Musiker eine Corona-Zwangspause in Indien zum Helfen nutzen

Rosenheim/Pushkar – Mancher reist sehr weit, um bei sich selbst anzukommen. Tom Mikudim (33) und Sabrina Stapf (34) aus Rosenheim scheint es so zu gehen.

Die beiden sind nach Indien aufgebrochen, vor geraumer Zeit schon. Sie sind immer noch da, und es sieht nicht danach aus, als würden sie in nächster Zeit zurückkommen.

„Wahnsinnsblick“ über den Pushkar-See

Als wir telefonieren, sitzen sie auf dem Flachdach eines Hotels in Pushkar. Sabrina Stapf schwärmt vom Wahnsinnsblick auf den Pushkar-See, Tom beschreibt, was sie gerade gegessen haben: Getreidebrei mit Kichererbsen und Öl, „sehr mächtig“. Dessen ungeachtet hören sich die beiden unbeschwert an. Dabei hat in den vergangenen eineinhalb Jahren wenig so geklappt, wie sie’s geplant hatten.

Die Reise beginnt schon vergangenes Jahr, in einer weitestgehend coronafreien Welt. Im Januar starteten sie, drei Monate sollten es werden. „Doch es kam dann alles anders“, sagt Sabrina Stapf. Die Pandemie kam, und die beiden Musiker, die das Gespann „Kasita Kanto“ bilden, blieben in Indien. Weil auf einmal nichts mehr ging.

Tom hatte nach Rajasthan reisen wollen, zum Fest der Farben, hierzulande bekannter als Holi-Fest. Und Pushkar ist ein Zentrum des Kults. Eigentlich waren fast alle Hotelzimmer gebucht, die Preise waren entsprechend hoch, ein Zimmer bekamen sie noch.

Und bald waren sie dann allein mit den Leuten von Pushkar. Die Touristen hatte die Pandemie in die Flucht geschlagen. Vor allem in der ersten Welle der Corona-Seuche seien die Menschen noch voller Angst gewesen, es sei alles noch so neu gewesen, der Virus noch so unbekannt.

Dann kam die zweite Welle, und dann die nächste. Die Angst schwand, die Anspannung wuchs. „Man hat viel Weinen gehört, überall, auch in der Familie“, erzählt Sabrina Stapf. „Wir waren sehr dicht an der Trauer dran.“ Und an den Scheiterhaufen, auf denen die Inder ihre vielen Toten verbrannten. Hinter dem Hotel, so berichtet Sabrina Stapf, sei der traditionelle Platz dafür.

Irgendwann gehörten sie dann gleichsam zur Familie. Und zum Hotel. Als einzige Gäste. „Zu Beginn wollten wir fliegen, doch die Flüge waren unerschwinglich“, sagt Sabrina. Und Tom setzt hinzu: „Später, als sich dann alles gelockert hat, gab es zwar auch Rückholflüge, aber es hatte sich nicht mehr richtig angefühlt.“ Sie hätten keine Entscheidung aus Angst fällen mögen, sagen die beiden.

Und sie fühlten sich der Stadt mittlerweile verbunden. So erzählen sie’s.

Man hilft einander und isst miteinander. „Was uns inspiriert hat ist,  dass trotz Trauer noch Platz für Fröhlichkeit und Leichtigkeit ist“, sagt Sabrina. Und Tom: „Die Einheimischen haben diese Einstellung: ,Die Situation ist nicht okay. Aber es ist okay so.‘“

Man mag sich ärgern, sich empören über Dinge, sie traurig finden. Aber man akzeptiert, dass man sie nicht ändern kann. „Es ist nicht der schlechteste Ort“, sagt sie. Und er: „Wir sind froh und dankbar.“

Ist das nicht ein wenig arg schön gemalt? Dieses Bild zweier Aussteiger auf Zeit, die mit Menschen und Umwelt in Harmonie leben und kommunizieren?

Vielleicht fühlt sich die Welt anders an, ein paar tausend Kilometer von Rosenheim entfernt. Vielleicht haben sie in Indien aber auch einfach die Möglichkeit, mehr zu tun. Die beiden schreiben Songs, machen Musik, die sie als „Mischung aus philosophisch- sanfter Liedermacherei, frechem Irgendwie-Pop, gefühlvollen Akustik-Klängen und sphärischem Shruti-Sound“ beschreiben.

Und sie helfen damit. Sie sammeln Geld, mit dem sie Essenspakete kaufen, die sie in den Dörfern verteilen. Noch in den nächsten Tagen wollen sie die Hälfte des Geldes, das über Downloads ihrer Songs kommt, an Projekte geben, die sich um Menschen und Tiere dort in der Umgebung kümmern. Sie nennen ihre Initiative „Musik für ne Mahlzeit“.

Keine Möglichkeit, daheim zu spielen

Es ist nicht nur Fürsorge, sondern auch Suche nach Sinn. „Für uns war die schlimmste Vorstellung, monatelang resigniert zu Hause zu sitzen und auf nichts zu warten“, sagt Sabrina. „Es gab doch für uns keine Möglichkeit, zu Hause zu spielen“, fügt Tom hinzu.

Sie wollen also, wie gesagt, noch ein bisschen bleiben. Ein paar Wochen. Vielleicht auch Monate. „Irgendwann werden doch auch wieder Konzerte möglich sein“, hofft Tom. Bis dahin werden die beiden Leute kennenlernen, musizieren, Essen verteilen.

Und innehalten. Der Blick vom Dach des Hotels, so hört man, soll ja ganz zauberhaft sein.

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