Rosenheim – Ob im Fernsehen, Radio oder auf seinem eigenen Youtube-Kanal – Kai Zorn beantwortet alle Wetterfragen. Für Radio Charivari beobachtet er seit über 15 Jahren das Wetter in der Region. Erst am Dienstag warnte er vor einer „gewaltigen Wetterfront“, die sich aus einzelnen Gewitterzellen bilde. Ob es solche Unwetter-Phänomene mittlerweile öfter gibt, beantwortet der Meteorologe den OVB-Heimatzeitungen im Interview.
Gibt es mehr Unwetter als früher?
Nein, da hat sich nichts geändert. In der Regel gibt es in wärmeren Sommern mehr Gewitter und in kühleren, westwindgeprägten Sommern weniger Gewitter. Dieses Jahr besteht häufig eine Grenzwetterlage, in der Heißluft auf kühlere Luft trifft. Dadurch entstehen kräftige Schauer und Gewitter. Die Kombination, die jetzt gerade besonders ist, dass wir sehr warme bis heiße Luftmassen haben und Sonnenhöchststand. Das macht die Gewitter noch mal eine Nummer stärker. Die Sonne ist wie eine Herdplatte. Das lässt dann ab August nach, weil die Tage kürzer werden.
Wie muss man sich das aktuell vorstellen?
Wir sind ja seit Wochen immer wieder an einem Grenzbereich der tropischen Mittelmeerluft und der kühleren Luft aus dem Nordmeer. Und die quetscht sich immer wieder an die Alpen. Deshalb haben wir so viele Gewitter. Damit ist ab heute erst mal Schluss, weil die Luft kühler wird. Dann wird es zwar auch Schauer und Gewitter geben, die sind ganz normal. Aber die Hitze ist dann erst mal weg.
Woran liegt es, dass es manche Landkreisteile mehr trifft als andere?
Das hat mit der Anströmung zu tun. Wenn wir die Alpen vereinfacht darstellen, sind sie eine Linie von West nach Ost. Die Gewitter haben eine leichte Südkomponente. Gebiete, die an den Bergen liegen, sind dann etwas geschützter. Je weiter wir ins Alpenvorland kommen, desto heftiger sind die Unwetter und es entstehen größere Schäden. Es gibt sogar Gewitterstraßen. Über Jahrhunderte wurde aufgezeichnet, wie Blitze ziehen und da ist immer das Alpenvorland und die Region nördlich von uns stärker betroffen als der Alpenrand selbst.
Und welche Region ist am meisten betroffen?
Das sind Gebiete nördlich von Rosenheim und dem Chiemsee, wenn die Gewitter aus Südwesten ziehen. Kommen sie aus Nordwesten, an einer Kalt- oder Unwetterfront, dann sind eher die Gebiete südlich von Rosenheim bis Berchtesgaden dran. Das hat mit der Windströmung zu tun.
In Tschechien wütete vergangene Woche ein Tornado. Fünf Menschen sind gestorben, 200 wurden verletzt. Könnte so etwas unserer Region auch drohen?
Ein Tornado ist eine normale Wettererscheinung in Mitteleuropa. Wir haben in Deutschland zwischen 30 und 60 offizielle Tornado-Meldungen im Jahr. Die Dunkelziffer liegt dreimal so hoch. Wären wir ein US-Bundesstaat, wären wir im oberen Drittel zu finden.
Wie gefährlich ist ein Tornado?
Das ist das Gefährlichste, das es in Sachen Wetter geben kann. Tornados haben eine zerstörerische Wucht. Wenn man einen sieht – die Wahrscheinlichkeit ist nicht hoch – dann kann man nur noch die Flucht ergreifen.
Welche Vorbereitungen können Bürger bei einer Warnung treffen?
Jalousien oder Fensterläden schließen, nützt gar nichts mehr. Man sollte allgemein nichts mehr sichern, da hat man keine Chance. Man kann anbinden, was man will. Das wird zerstört, wie die Autos. Befinden sich Personen in einem solchen Gebiet, sollten sie sich nur in Gebäuden aufhalten und in die Zimmer auf der Ostseite begeben. Und bloß von den Fenstern wegbleiben. Wenn man ein Haus hat, nur ab in den Keller und ducken.
Besteht eine große Tornado-Gefahr im Alpenvorland?
Die ist überall gleich. Wenn so ein Ding aufkreuzt, wird es brenzlig. Aber das passiert alle 20 bis 50 Jahre. Die Tornados haben verschiedene Größen, von F0 bis F5. Ein F0-Tornado geht in einem Waldstück nieder und haut dort vielleicht drei Bäume um. Dann gab es in Deutschland mal einen F5-Tornado im 18. Jahrhundert. Ein sogenannter Twister, der stärkste Tornado, den es geben kann. Der holt sogar Asphalt und und Baumstümpfe aus dem Boden. Aber die Wahrscheinlichkeit ist natürlich äußerst gering, das passiert nur alle paar 100 Jahre.
Wann könnte der nächste Tornado wüten?
Die Voraussetzungen, dass so ein Ding aufkreuzt, gibt es am Mittwoch wieder. Es wird eine schwere Unwetterfront mit Sturm über den Süden Bayerns hinwegziehen. Bei großen Gewitterwolken ist auch ein Tornado möglich.
Wann gab es den letzten großen Tornado in der Region?
Das war der F3-Tornado am 3. August 2001. Er ist in Bad Tölz gestartet und bis nach Oberösterreich gezogen. Mit mehr als 300 km/h ist der Tornado über die Landkreise Rosenheim, Miesbach und Traunstein gezogen. Es hat immense Schäden und 76 Verletzte gegeben. Gott sei Dank keine Toten.
Wie haben Sie das erlebt?
Ich bin nicht heimgekommen, weil alle Straßen unpassierbar waren. Das werde ich nie vergessen. Es war eines der schlimmsten Erlebnisse, die ich je hatte. Das war wie im Film. Es war kalt, es war totenstill, überall lag Eis durch den Hagel. Und in dem Eis lagen tote Vögel, die durch den Hagel und Sturm runtergeholt wurden. Auch die Nadelwälder waren entlaubt. Als ich heimkam, war alles verwüstet. Das sah aus wie im Krieg. Es klingt apokalyptisch, aber das kommt vielleicht einmal in 100 Jahren vor. Interview: Paula L. Trautmann