Kräftespiel um die Milch

von Redaktion

Alle Menschen konsumieren Lebensmittel. Deshalb geht auch alle die Landwirtschaft etwas an. In der dritten Folge unserer Serie „Landwirtschaft im Wandel – Blick auf drei Jahrzehnte“ beleuchten wir das Kräftespiel zwischen Politik, Milchbauern und Verbrauchern.

Rosenheim – Klaus Gschwendtner steht, umringt von Kühen, mit einer Schaufel in der Hand in seinem Stall in Rins am See. Die Tiere kauen gemütlich vor sich hin, auf dem Futtertisch liegt eine Mischung aus siliertem Mais und Gras. 60 Milchkühe versorgt der stellvertretende Kreisobmann des Bauernverbands auf seinem Bauernhof. Sie stehen in einem Stall, der zwar schon 25 Jahre alt ist, aber eine Eigenschaft hat, die ihn von vielen anderen Ställen im Landkreis Rosenheim unterscheidet: Es ist ein Laufstall.

Tiere können
sich frei bewegen

Dort können sich die Tiere frei bewegen, sie gehen selbstständig zum Melken und haben eigene Liege- und Fressbereiche. Laut dem Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten steht in etwa die Hälfte aller 67780 Kühe (2020) im Landkreis in Laufställen.

Die meisten anderen sind in Anbindeställen untergebracht. Dort stehen oder liegen die Kühe in einer engen Box, können nicht herumlaufen oder drehen und sind am Hals mit einer Kette fixiert. Vor Jahrzehnten, als die Mehrzahl der Ställe gebaut wurden, war die Anbindehaltung Standard. Vor allem in kleinen Betrieben mit 20 bis 30 Kühen, sagt Gschwendtner. Heute wird solch eine Anlage nicht mehr als Stall angesehen, in dem Tierwohl garantiert ist. Vor allem die Tierschutzorganisation Peta ist gegen die Anbindehaltung. In einer Mitteilung auf ihrer Webseite nennt sie diese Form der Haltung „Tierquälerei“.

Bayerns Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber (CSU) hat in ihrer Regierungserklärung einen Ausstieg aus der ganzjährigen Anbindehaltung gefordert, und das „so zügig wie nur möglich“. Ein verpflichtendes Datum lehnt Klaus Gschwendtner aber ab. „Natürlich wollen wir raus aus der Anbindehaltung. Aber das muss auch sozial verträglich sein.“

Komme ein komplettes Verbot der Anbindehaltung, müssten viele kleine Betriebe im Landkreise aufhören, schätzt er. Ein Grund: die Kosten. Ein neuer Stall kostet laut Gschwendtner zwischen 500000 und einer Million Euro. Kaniber hatte in ihrer Erklärung versprochen, die Förderung zur Umstellung von Anbinde- auf Laufstallhaltung von 30 auf 40 Prozent zu erhöhen. Der Großteil der Kosten bleibt am Landwirt hängen. „Diese Investition müssen die Bauern über die Milchproduktion reinholen“, sagt Gschwendtner. Schwierig, wenn die Milchpreise stagnieren oder fallen. Da sieht er auch die Verbraucher in der Verantwortung. Solange die Menschen nicht bereit sind, mehr Geld für ihre Milch zu zahlen, wird sich der Handel an der Nachfrage nach billigen Produkten orientieren.

Aber nicht nur von der Politik kommt Druck, sondern auch von Molkereien. Die Milchwerke Berchtesgardener Land-Chiemgau zum Beispiel zahlen seit Anfang 2020 für Milch aus ganzjähriger Anbindehaltung zwei Cent pro Kilogramm weniger. Das hat Pressesprecherin Barbara Steiner-Hainz auf Anfrage mitgeteilt. Für Milch aus Laufställen gibt es hingegen eine Prämie von einem Cent pro Kilogramm. „Die, die weitermachen, müssen größer werden, um ihre Kosten zu decken“, sagt Gschwendtner. Das Bild der Region würde sich komplett ändern. „Wir wollen die kleinstrukturierte Landwirtschaft aber erhalten.“

Die Kühe in all diesen kleinen Betrieben im Landkreis haben in den vergangenen 30 Jahren durchschnittlich immer mehr Milch gegeben. Das zeigen Zahlen des Rosenheimer Landwirtschaftsamts. 1990 gab eine Kuh im Jahr 5179 Kilogramm Milch, 30 Jahre später sind es beinahe 3000 Kilogramm mehr (8045).

Dabei geben aber auch nicht alle Kuhrassen gleich viel Milch. In den Betrieben in der Region, in der sich fünf Molkereien angesiedelt haben, dominiert das sogenannte Deutsche Fleckvieh – die weiß-braun gescheckten Kühe. Es ist eine sogenannte Zweinutzungsrasse, sagt Georg Lechner, Vorsitzender der Rosenheimer Viehzuchtgenossenschaft. Die Tiere werden sowohl für Milch- als auch für Fleischproduktion eingesetzt. Deutsche Holstein-Schwarzbunte, die sich durch ihr schwarz-weißes Fell auszeichnen, gebe es in vereinzelten Betrieben auch. Diese Kühe geben mehr Milch als das Fleckvieh, sind aber schlanker. „Da ist keine Mastleistung da“, sagt er. Für Bauern, die das Fleisch nach dem Schlachten verkaufen wollen, also eher ungeeignet.

Futter ist besser
geworden

Die Zunahme der Milchabgabemenge hat laut Lechner zwei Gründe. Zum einen sei das Futter im Laufe der Jahre besser geworden. Je hochwertiger es ist, desto besser für die Kühe und deren Leistung. Zum anderen seien die Tiere auf höhere Abgabemengen gezüchtet worden. Geholfen habe dabei die „genomische Selektion“. Heißt: Mit den Samen des Zuchtbullen mit den besten Genen werden die Kühe befruchtet. Nur die sogenannten Topvererber kommen zum Zug. Die Kritik von Tierschützern, Landwirte beuteten ihre Kühe aus und degradierten sie zu „Milchmaschinen“, weist Lechner zurück. „Wenn es den Kühen schlecht gehen würde, würden sie nicht diese Leistung erbringen. Nur eine gesunde Kuh kann das.“

Butterberge abgebaut, Milchseen ausgetrocknet

Ende der 70er- und Anfang der 80er-Jahre hat sich die Produktivität der europäischen Landwirtschaft stetig erhöht. Die Bauern produzierten immer mehr Milch und Butter. Der EU-Markt war übervoll. Die Überschüsse wurden eingelagert und als „Butterberge“ und „Milchseen“ bezeichnet. Um dieses Überangebot abzubauen, führte die Europäische Union 1984, die damals noch Europäische Gemeinschaft hieß, Milchquoten ein. Sie regelten, wie viel jeder Erzeuger produzieren sollte. Diejenigen, die mehr produzierten, mussten Abgaben zahlen. Die Bauern erhielten – unabhängig von der Nachfrage – einen garantierten Preis für ihre Milch. 2015 wurden die Milchquoten wieder abgeschafft. An sich fand Philipp Moosner, Vorstandsvorsitzender der Milcherzeugergemeinschaft Rosenheim-Bad Aibling, die Idee sinnvoll. „Aber man hat mit der Quote den Milchpreis auch nicht so hoch halten können, wie man sich das gewünscht hätte“, sagt er. Außerdem seien die Zukunftsbetriebe durch die hohen Quotenkosten zusätzlich belastet worden, wenn sie ihre Mehrproduktion abliefern wollten. 2015 wurden die Quoten abgeschafft. „Grundsätzlich waren wir schon froh. Der Quotenkauf hat die Milchproduktion einfach verteuert.“ Im Mai bekamen Bauern für ein Kilogramm konventionell erzeugte Milch zwischen 35 und 36 Cent. Überproduktion von Milch gebe es in Bayern momentan nicht – im Gegenteil. Die vergangenen drei Jahre hätten die Abgaben immer unter dem jeweiligen Vorjahresniveau gelegen. Ein Blick in die Zahlen der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft bestätigt das. Waren es 2018 8,43 Millionen Tonnen Kuhmilch, wurden ein Jahr darauf 8,39 Millionen Tonnen erzeugt. Für 2020 liegt noch keine Zahl vor. Weil in Bayern hohe Qualitätsstandards herrschen, kaufen laut Moosner Molkereien Milch aus Polen und Tschechien zu. Das sei billiger, denn dort fehlten oft die hiesigen Auflagen.

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