Pflegekind

Ankommen im Hier und Jetzt

von Redaktion

259-mal mussten die Jugendämter der Stadt Rosenheim und des Landkreises in den vergangenen drei Jahren Kinder aus ihren Familien nehmen. Sie kommen zum Teil in Familien der Bereitschaftspflege unter. Neue Pflegeeltern sind willkommen, aber nicht alle sind geeignet.

Rosenheim – Schuhe aus! Wer zu Rudolf Kley ins Rosenheimer Büro des Kinderdorfes Irschenberg der Münchener Rosenheimer will, muss seine Treter loswerden – Socken inklusive. Es mag dem Teppichboden geschuldet sein. Zumindest will Sozialpädagoge Kley in diesen Zeiten keine Viren einschleppen und offenbar erst recht keinen Dreck.

Wenn man ein paar Minuten mit dem Mann ins Gespräch gekommen ist, wird schnell klar, warum er lieber auf Schuhe verzichtet. Kley bleibt im wahrsten Sinne des Wortes bodenständig, wenn er seine Arbeit erklärt, gerne auch mal mit Schnüren und Bauklötzen, während er auf dem Teppich hockt.

In der Familie
nicht mehr sicher

Rudolf Kleys Funktionsbezeichnung lautet „Teamleiter Bereitschaftspflege“. Er kümmert sich mit seinen Kollegen um Kinder, die das Jugendamt aus ihren Familien genommen hat. Weil die Behörde zum Ergebnis gekommen ist, dass die Buben und Mädchen in ihrer gewohnten Umgebung nicht mehr sicher sind. Inobhutnahme nennt sich dieser Vorgang. Ob diese damit zusammenhängt, dass die Kinder geschlagen, gequält oder vernachlässigt wurden, kann dabei erst mal außen vor bleiben. Denn all dies kommt letztlich auf einen Nenner: Kindeswohlgefährdung. Der Begriff klingt einigermaßen pragmatisch, und ebenso geht Kley an seine Aufgabe heran. Nicht ohne einfühlsam zu sein, aber mit der nötigen Distanz. Kley und seine Kollegen bringen Kinder in Pflegefamilien unter. Wohlgemerkt, sie vermitteln keine Adoptionen, sondern Refugien für die Buben und Mädchen. Und sie sind nur eine Option für die Jugendämter, wenn es darum geht, eine geeignete Bleibe zu finden.

Der Sozialpädagoge legt eine Schnur auf den Boden, einen Zeitstrahl. Und er nutzt Klötze, um zu veranschaulichen, welche Aspekte bei einer Kindeswohlgefährdung eine Rolle spielen. Darunter das Jugendamt. Dort, betont er, werde entschieden, ob ein Kind aus einer Familie genommen wird, nicht bei der Caritas.

Am Anfang steht ein Anruf: „Manchmal nur prophylaktisch“, wie Kley sagt. „Die Kollegen des Jugendamtes haben manchmal gerne eine Lösung in der Tasche.“ Dann finde sich doch oft eine andere Möglichkeit in der Verwandtschaft, und das angekündigte Kind kommt dort unter. Gibt es diese Möglichkeit, ist eine Pflegefamilie eine der Optionen für das Jugendamt.

Entscheiden sich die Sachbearbeiter dort für eine Bereitschaftspflege, sind sie mit dabei, wenn das Kind in die „neue“ Familie gebracht wird. Dann kommen Fragen an das Jugendamt: „Was wissen sie? Was ist für das Kind notwendig?“, beschreibt Kley den Austausch. „Wir versuchen, den Kindern ein Ankommen im Hier und Jetzt zu ermöglichen“, sagt Kley. Gemeint ist, die Reaktionen des Kindes zu akzeptieren, die durchaus unterschiedlich ausfallen können: zwischen Trauer und Revolution. „Ich versuche, möglichst wenig zu reden und dem Kind viel zu zeigen“, sagt er und meint damit, den Buben und Mädchen Angebote zu machen: Hier gibt es etwas zu essen, dort ist die Toilette, dort ist ein Schlafplatz, dort steht ein Kuscheltier. „Ob das Kind dieses am Ende annimmt oder nicht, ist vollkommen nebensächlich. Aber das Kind weiß: Wenn ich will, kann ich es nutzen.“

Oft, sagt Kley, leben in diesen sogenannten Bereitschaftsfamilien bereits Kinder. Auch diese müssen beim Auswahlprozess miteinbezogen werden, wenn sich Eltern entschließen, sich bei der Caritas dafür zu bewerben, einem fremden Kind Obhut zu bieten. „Der Schlüssel zum Ankommen, sind meistens die Kinder.“ Kley nennt sie Ko-Therapeuten. Über das Telefon signalisieren die meisten potenziellen Bereitschaftsfamilien ihr Interesse, ein Kind zur Pflege aufzunehmen. „Ich beschönige nichts“, schildert Rudolf Kley, dass er den Anrufern möglichst plastisch beschreibt, was sie möglicherweise erwartet.

Nicht zu sehr klammern

Oft seien es Familien, denen es wirtschaftlich gut geht. Doch man muss loslassen können, denn das Pflegekind ist und bleibt ein Besuch auf Zeit. Deshalb sollten die Pflegeeltern nicht allzu sehr klammern. Kley warnt: Wenn Pflegevater oder Pflegemutter beispielsweise selbst Opfer häuslicher Gewalt geworden sind, neigten sie mitunter dazu, das Kind beschützen und am Ende vielleicht nicht mehr hergeben zu wollen. Denn die Trennung von den leiblichen Eltern ist nicht in Stein gemeißelt, sondern hängt davon ab, wie das Jugendamt die weitere Entwicklung der Situation bewertet. 15 Familien hat die Caritas derzeit. „Es können nie zu viele sein“, findet Kley.

Infos zur Aufnahme

Ausführliche Informationen zur Möglichkeit, selbst ein Pflegekind aufzunehmen, gibt es im Internet unter der Adresse kinderdorf.de/unsere-leistungen/bereitschafts-

pflegefamilien.html

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