Bruckmühl – Nach der Sturzflut an der Irschenberger Leithen, die mindestens 100 Grundstücke zwischen Vagen und Oberstaudhausen unter Wasser setzte und Existenzen unterspülte, sind sich alle Betroffenen einig: Die Einsatzkräfte haben Unglaubliches geleistet. Trotzdem sind noch immer Fragen offen: Warum beispielsweise standen Wehren wartend am Weko in Rosenheim, während die Keller vollliefen? Warum wurden sie nicht sofort ins Einsatzgebiet entsandt? Oder warum wurden nicht alle auf Hochwasser spezialisierten Feuerwehren alarmiert? Hätte das Ausmaß der Schäden möglicherweise sogar verringert werden können, wenn der Einsatz anders koordiniert worden wäre?
Wasser war durch
nichts zu bändigen
„So schnell wie die Wassermassen da waren, konnten wir gar nicht reagieren“, sagen Kameraden der Bruckmühler Gemeindefeuerwehren, die um 20 Uhr mit ansehen mussten, wie sich die Flutwelle über ihre Heimatdörfer ergoss. „Gegen eine Sturzflut haben wir einfach keine Chance“, bestätigt Kreisbrandrat Richard Schrank. Keiner konnte am Montagabend ahnen, wo und in welchem Ausmaß sich das Unwetter niederschlagen würde. Keiner konnte Vorkehrungen treffen, um die Wassermassen zurückzuhalten. „Es gibt kein Einsatzmittel gegen eine solche Sturzflut“, bekräftigt Schrank und erläutert das an einem Beispiel: „Der Aufbau von Sandsackschutzwällen im Bruckmühler Bereich auf einer Länge von 6,5 Kilometern dauert Tage. Es gab zwar eine Unwetterwarnung, aber keiner wusste, wo es sich entlädt. Wir hatten hier also überhaupt keine Vorwarnzeit. Und wo genau hätte man die Sandsäcke aufbauen sollen? Wer weiß vorher, wo sich das Wasser seinen Weg suchen wird“, macht Schrank klar. „So heftiger Regen innerhalb so kurzer Zeit über einem kleinen Gebiet – gegen solch ein lokales Regenereignis gibt es kein Einsatzmittel.“ Mit einem Hochwasser könne man eine solche Lage nicht vergleichen, denn: „Steigen die Pegel der Flüsse, haben wir ein bis zwei Tage Zeit, um Vorkehrungen zu treffen.“
Hilfe ist möglich, wenn
Flut abebbt
Den Kreisbrandrat haben viele Kritiken an der Arbeit der Feuerwehren an der überfluteten Kreuzung in Götting erreicht: Vorwürfe von Bürgern, die Kameraden hätten tatenlos herumgestanden und zugesehen, wie das Wasser in den Ort fließt. Schrank machen solche Behauptungen betroffen, denn „es ist für uns unheimlich schmerzlich, mit anzusehen, wie Menschen in Not geraten“.
Fakt ist: Die Göttinger Kameraden haben zusammen mit weiteren Einsatzkräften ohne Rücksicht auf ihre eigene Sicherheit eine Leitung zur Mangfall aufgebaut und versucht, das Wasser abzuleiten, den Pegelstand auf der Straße und den Feldern zu senken, um den Ort zu schützen. „Fakt ist aber auch, dass das vergebene Müh‘ war, denn bei einer solchen Sturzflut, bei der Wassermassen in die Senke schießen, kann die Feuerwehr nichts machen, sondern muss warten, bis die Flutwelle abebbt, das Wasser nicht mehr steigt und kann dann erst helfen“, betont Schrank und ergänzt: „Um diese Wassermassen wegzupumpen, hätten alle verfügbaren Pumpen des Landkreises Rosenheim nicht ausgereicht. Das ist einfach nicht zu schaffen.“
Die gesamte Lage
im Auge behalten
Auch am Einsatz der Unwetterzüge des Landkreises gab es Kritik. Doch was hätte besser organisiert werden können? Um 20.45 Uhr wurde die Einsatzleitung besetzt, um 21 Uhr fand die erste Lagebesprechung statt. Acht Minuten später wurde der erste von drei Unwetterzügen alarmiert. Die dazugehörigen Wehren formierten sich am Weko-Parkplatz in Rosenheim. „Dann hatte die Einsatzleitung mit Blick auf die Lage im gesamten Landkreis zu entscheiden, welche Einsätze Priorität haben, wie beispielsweise die Evakuierung einer Fachklinik in Bad Aibling, und wohin welche Wehr ausrückt“, erklärt der Kreisbrandrat.
Gegen 21.40 Uhr wurde ein Unwetterzug nach Götting entsandt. 22 Uhr waren die Kameraden vor Ort. „Zu dieser Zeit war klar, dass das Wasser nicht mehr steigt und die Wehren den Betroffenen wirksam helfen können“, erklärt Richard Schrank den Einsatz. Weitere Unwetterzüge waren in Mittenkirchen und Bad Aibling im Einsatz.
Zu einer solchen Unwetterlage gehöre es auch, dass trotz lokaler Überschwemmungen ein grundsätzlicher Gebietsschutz für Notfalleinsätze wie Brand oder technische Hilfeleistung gewährleistet bleiben muss. „Deshalb wurden auch nicht alle Wehren zum Unwettereinsatz alarmiert.“
Seit etwa sieben Wochen kommt es in der Region immer wieder zu Unwettern. „Jedes einzelne zog bis zu 100 Einsätze unserer Feuerwehren nach sich“, bilanziert Schrank. Doch ist die Bekämpfung dieser Wetterextreme überhaupt noch im Ehrenamt leistbar? „Wir haben ein großes Potenzial an Einsatzkräften im Landkreis, doch alles ehrenamtlich zu stemmen, ist extrem schwierig“, gibt der Kreisbrandrat zu.
Langfristige
Vorkehrungen
Im Schutz vor neuen Hochwasserereignissen wie Sturzfluten sei das Zusammenspiel aller erforderlich. „Die Kommunen müssen mit Fachleuten vom Wasserwirtschaftsamt und ihren Feuerwehren die Gefährdung ihrer Gebiete beurteilen, genau untersuchen, wo Bäche und Oberflächenwasser zu Sturzfluten führen könnten und langfristige Vorkehrungen treffen. Und auch die Bürger müssen den Schutz ihrer Gebäude angesichts solcher Unwetter noch einmal neu betrachten.“ Als problematisch sieht der Kreisbrandrat nicht nur unsachliche und demotivierende Kritik an ehrenamtlichen Einsatzkräften, sondern auch das zunehmende Anspruchsdenken der Menschen. „Wir können bei solchen Wetterextremen nur reagieren und sind dadurch automatisch auf der Verliererseite“, so Schrank. „Und andererseits werden unsere Kameraden selbst bei normaler Witterung gerufen, nur weil ein Ast auf dem Gehsteig liegt, den eigentlich jeder wegräumen könnte. Das macht das Ehrenamt kaputt.“