Traunstein/Kiefersfelden – Eine nigerianische Zuhälterin lockte eine Landsfrau (19) aus ärmlichsten Verhältnissen von Afrika nach Rom, um sie dann auf den Wohnwagenstrich im niedersächsischen Gifhorn zu schicken – wo sie 30000 Euro Schleuserlohn hätte „abarbeiten“ müssen. Eine Kontrolle der Bundespolizei in Kiefersfelden ersparte der jungen Frau dieses Schicksal (wir berichteten). Die Vierte Strafkammer am Landgericht Traunstein mit Vorsitzender Richterin Andrea Titz bestätigte jetzt das Ersturteil des Schöffengerichts am Amtsgericht Traunstein vom Mai 2021 mit einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten und verwarf die Berufung der Angeklagten.
Fall liegt fünf
Jahre zurück
Der Fall reicht fünf Jahre zurück. Beamten der Bundespolizei Rosenheim hatte die damals 19-Jährige am 15. Juni 2016 in einem aus Italien kommenden Zug nahe Kiefersfelden gefälschte Ausweisdokumente gezeigt. Sie hatte die Papiere und das Bahnticket von der Angeklagten erhalten. Die 35-Jährige war bei der Festnahme der Zeugin im gleichen Zug, aber in einem anderen Abteil. Sie konnte zunächst nach Gifhorn weiterfahren. Später lebte sie wieder unbehelligt in Italien. In Rom wurde sie erst 2021 festgenommen – nach langwierigen Ermittlungen und mithilfe von Europol.
Auf die Spur der Angeklagten kamen im Bereich der Organisierten Kriminalität tätige Ermittler in völlig anderem Zusammenhang, wie eine Sachbearbeiterin der Bundespolizeiinspektion Kriminalitätsbekämpfung in München auch in der Berufungsverhandlung schilderte. 2016/2017 sei ein großes Ermittlungsverfahren wegen Computerbetrugs an der Deutschen Bahn gelaufen. Über den Täterkreis, vor allem Schwarzafrikaner, sei man auch auf Menschenhandel gestoßen. Der vorliegende Fall sei der erste dieser Art gewesen. In nigerianischen Kreisen werde die Zuhälterin „Madame“ genannt. Der hohe Schleuserlohn von 30000 Euro sei ein Indiz für Menschenhandel und klassische Ausbeutung. Opfer würden psychisch unter Druck gesetzt. Eine Zwangsprostituierte müsse für 30000 Euro mindestens acht bis zehn Jahre arbeiten: „Dann erst besteht eine Chance, dass sie frei gelassen wird.“ Die Polizistin unterstrich, die Glaubwürdigkeit der Zeugin sei „sehr, sehr hoch“.
Die inzwischen 25 Jahre alte Belastungszeugin, in Bayern als Asylsuchende lebend, bekräftigte ihre Angaben aus erster Instanz in vollem Umfang. Die „Mutter“ der Angeklagten habe ihr in Nigeria erzählt, ihre „Tochter“ in Europa benötige Hilfe von Mädchen beim Verkauf von Lebensmitteln und Plastikartikeln. Die „Mutter“ sei bereit gewesen, ihr das Geld für die Reise zu leihen. Schleuser hätten sie nach Rom zu der Angeklagten gebracht, die sie mehr als eine Woche in ihrem Haus eingesperrt habe.
Nach Worten der Zeugin eröffnete ihr die „Madame“ genannte 34-Jährige, sie müsse sich prostituieren – um 30000 Euro Schleuserlohn zurückzuzahlen. Als sich die junge Frau, die erstmals von einem so hohen Betrag hörte, weigerte, wurde ihr mit „Umbringen“ gedroht.
Die Angeklagte fiel der 25-Jährigen im Prozess mehrmals lautstark ins Wort, bezichtigte diese der Lüge. Sie lebe in ordentlichen Verhältnissen seit vielen Jahren in Italien, zahle Steuern und fühle sich zu Unrecht in Deutschland eingesperrt. Die Verteidiger, Korbinian Ortner und Christina Kraus aus Traunstein, plädierten auf Freispruch. Staatsanwältin Lisa Köninger sah die Angaben der Angeklagten „eindeutig widerlegt“ und forderte drei Jahre und neun Monate Freiheitsstrafe.
Wie das Schöffengericht gelangte die Vierte Strafkammer zu „schwerem Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung“ und weiteren Delikten. Die Berufung der Angeklagten sei verworfen worden. Vorsitzende Richterin Andrea Titz betonte, die Kammer hege keinerlei Zweifel am Sachverhalt des Ersturteils. In Nigeria sei die Zeugin von einer „Mittelsfrau, die sich als Mutter der Angeklagten ausgegeben hat“, angesprochen worden. Die Angaben der 25-Jährigen seien „zutreffend und richtig“, über mehrere Vernehmungen hinweg konstant gewesen.
Hilflosigkeit des
Opfers ausgenutzt
Ohne Zutun anderer hätte die arme, kaum gebildete junge Frau nicht nach Italien kommen können. Die Polizeisachbearbeiterin habe geschildert, wie der Fall in das Gesamtgeschehen und eine Serie von Taten gepasst habe, hob die Vorsitzende Richterin heraus. Strafschärfend wirke das damalige junge Alter der Geschädigten. Die Angeklagte habe die Zeugin, deren Hilflosigkeit und Lebensumstände ausgenutzt.