Rosenheim – Genau 191460 Menschen – das sind 80,7 Prozent der Wahlberechtigten – haben in Stadt und Landkreis Rosenheim gewählt. Wie lässt sich das Ergebnis im Wahlkreis Rosenheim deuten?
Auch wenn das Ergebnis kaum jemandem in den Kram passen wird – die große Gewinnerin ist die Demokratie. Nicht nur die hohe Wahlbeteiligung macht Hoffnung. Auch die Tatsache, dass es trotz Flüchtlingskrise 2015 und zwei Corona-Jahren weiter eine starke politische Mitte gibt, ist keine Selbstverständlichkeit. Das könnte man so interpretieren: Dass die große Mehrheit der pandemie-müden Menschen zwischen Haag und Kiefersfelden sowie zwischen Chiemsee und Feldolling, doch nicht so gespalten ist, wie die vielen hitzigen Corona- und Klimawandel-Debatten befürchten ließen.
Bittere Pillen auch
für die Kleinen
Eine der Folgen: Sensationen, Triumphe und Erdrutsch-Schlappen blieben aus. Mit den Verlusten der CSU war auch im Raum Rosenheim zu rechnen, ebenso mit den Gewinnen von SPD, Grünen und FDP. Für die größte Überraschung sorgte da schon Gerhard Schloots mit seinen Freien Wählern, die ihr Zweitstimmenergebnis vervierfachten, die AfD überflügelten und in neun Gemeinden sogar die zweite Kraft stellten. Und die Kleinen, denen man, zumindest in der Region, erneut die Linke zurechnen darf. Sie mussten bittere Pillen schlucken. Bayernpartei (von 1,8 auf 0,9) und ÖDP (von 1,2 auf 0,9) spielten keine Rolle.
Dass die Linke in Südostbayern in 20 Jahren kaum einen Fuß auf den Boden bekommt, ist kein Geheimnis. Doch der Rückfall von 5,1 auf 2,4 Prozent ist schon ein bemerkenswert großer Rückschritt. Kurios, dass die Region ausgerechnet jetzt, trotz dieser Wahlschlappe, erstmals einen Abgeordneten der Linken nach Berlin schickt: den jungen Rosenheimer Ates Gürpinar (37), der von seinem guten Listenplatz vier profitierte.
Ramsauer verlor
noch mehr Stimmen
Damit ist Stimmkreisgewinnerin Daniela Ludwig nun nicht mehr allein in Berlin. Auch wenn Ludwig, seit 2002 im Bundestag, zum zweiten Mal in Folge schmerzhafte Stimmenverluste hinnehmen muss – sie kann sich damit trösten, dass ihr Erststimmenresultat (36,1 Prozent) als einziges aller zwölf Rosenheimer Direktkandidaten deutlich über dem Zweitstimmenresultat (31,0) liegt. Ihre CSU-Kollegen und Wahlkreis-Seriensieger Dr. Peter Ramsauer (-13,7) und Stephan Mayer (-11,7) haben in den Nachbarkreisen Traunstein und Altötting-Mühldorf sogar noch mehr Stimmen verloren als Ludwig (-9,8). Und das, obwohl weder Ramsauer noch Mayer einen Stimmenkiller wie den umstrittenen, unpopulären Brenner-Nordzulauf in den Wahlkampf schleppen mussten.
80,7 Prozent bedeuten nach 2002 (82,0) die seit Jahrzehnten höchste Wahlbeteiligung im Wahlkreis Rosenheim. Spitze waren in dieser Hinsicht die kleineren Kommunen wie etwa Chiemsee (90,1) oder Albaching (86,2). Doch auch die Größeren, wie zum Beispiel Tuntenhausen (86,7), brachten es auf eine beachtliche Quote. Und selbst für die Wahlbeteiligungs-Schlusslichter wie Wasserburg (73,3), Rosenheim (75,3), Kolbermoor (76,8), Bad Endorf (77,4) oder Kiefersfelden (77,9) gilt: Auch dort haben mehr Bürger ihre Kreuzerl gemacht als 2017.
Indessen fällt im Raum Rosenheim eine CSU-Hochburg nach der anderen – wie zum Beispiel Tuntenhausen, jahrzehntelang über die Region hinaus bekannt als Garant für christsoziale Topwerte weit über der 60-Prozent-Marke. 2013 wählten dort noch über 65 Prozent Daniela Ludwig. Inzwischen reicht es dort nicht einmal mehr für 40 Prozent: 37,3 Prozent der Erststimmen für Ludwig, 31,4 Prozent der Zweitstimmen – das war noch vor wenigen Jahren undenkbar.
Immerhin: Die Bundestagsabgeordnete aus Kolbermoor blieb in keiner der 47 Städte und Gemeinden im Wahlkreis unter 30 Prozent – nicht einmal im „roten“ Wasserburg (30,7). Die 50-Prozent-Marke packte Ludwig nur noch in der Mini-Gemeinde Chiemsee mit ihren 152 Wahlberechtigten (51,1). Ihre nächstbesten Resultate in Nußdorf (44,8), Eiselfing (44,2) und Gstadt (44,1) sind davon schon ein Stück entfernt.
Ganz anders schaut das bei den Zweitstimmen aus. Da steht für die CSU in sieben Fällen sogar nur noch eine Zwei vorm Komma – und das nicht nur in den Städten und großen Gemeinden wie Wasserburg (25,2), Rosenheim (27,5), Stephanskirchen (29,5) und Kolbermoor, sondern auch in Brannenburg (29,1), Riedering (28,0) und Söchtenau (28,9).
SPD-Direktkandidat Pankraz Schaberl bekam in seiner Heimatgemeinde Feldkirchen-Westerham beachtliche 17,5 und in Wasserburg 16,4 Prozent, die große Trendwende gelang ihm nach der jahrzehntelangen Talfahrt der Sozialdemokraten in der Region allerdings nicht – auch wenn sein Gesamtergebnis (12,0) knapp über dem Wert von Abuzar Erdogan von 2017 (11,8) lag. Auch nicht gerade berauschend: das Zweitstimmen-Ergebnis (14,4) der Sozialdemokraten. Ein Regierungsauftrag sieht anders aus.
Schloots räumt
in Söchtenau ab
Die Grünen schwangen sich in acht Gemeinden zur zweiten Kraft auf, unter anderem in Wasserburg mit 17,6 Prozent der Zweitstimmen. Das Top-Ergebnis gab es auf der Herreninsel (19,0), nicht weit davon entfernt erzielten Victoria Broßart (Grüne) in Breitbrunn (18,4) und Michael Linnerer (FDP) in Gstadt (15,6) ihre Topwerte.
Die Freien Wähler landeten gleich in neun Kommunen auf Platz zwei. Gerhard Schloots wird sich vor allem über seine Zahlen in Söchtenau (20,6), Halfing (19,8) und Höslwang (18,2) gefreut haben.
Nino Kornhass (Die Basis), der auf Anhieb auf 4,8 Prozent holte, kam mehrmals über fünf Prozent, unter anderem in seiner Heimatgemeinde Bruckmühl (9,4), Bad Feilnbach (7,3) und Bad Aibling (7,2).