Schwierige Zeiten in der JVA Bernau

von Redaktion

Interview Direktor Jürgen Burghardt über Corona, Gewalt und ein altes Gebäude

Bernau – Zugangsquarantäne, Kontaktbeschränkungen, Erkrankungen – die Corona-Pandemie fordert die Justizvollzugsanstalt (JVA) Bernau stark. Das sind aber nicht die einzigen Herausforderungen für die Einrichtung mit über 800 Haftplätzen. Die OVB-Heimatzeitungen sprachen mit dem Leitenden Regierungsdirektor Jürgen Burghardt in der Rückschau aufs vergangene Jahr auch über Gewalt gegen Justizbeschäftigte und das in die Jahre gekommene Gebäude. Das Gespräch fand statt, bevor sich die Corona-Lage in den zurückliegenden Tagen dramatisch zugespitzt hat.

Welche Konsequenzen hat die Corona-Pandemie für die Häftlinge in der JVA Bernau?

Die Zugangsquarantäne bindet erhebliche Raumressourcen. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz hat insbesondere Ersatzfreiheitsstrafen – also von nicht bezahlten Geldstrafen – „zurückgestellt“, um den Belegungsdruck zu reduzieren. Der Haftalltag der Gefangenen ist vor allem durch ganz erhebliche, inzidenzabhängige Einschnitte bei den Außenkontakten verändert, also bei Besuchen, externen Gruppenangeboten sowie beim Verlassen der Anstalt. Hinzu kamen die üblichen Vorsorgemaßnahmen, also das Tragen von Schutzmasken.

Unabhängig vom Lockdown in Freiheit war aufgrund der genannten Maßnahmen das Anstaltsleben im Übrigen nur geringfügig beeinträchtigt und zum Beispiel der Arbeitseinsatz der Gefangenen innerhalb der Anstalt mit Ausnahme weniger Wochen durchgehend möglich. Nur zu Jahresbeginn 2021 war aufgrund eines unklaren Infektionsgeschehens unter den Gefangenen mit Infizierten im untersten zweistelligen Bereich tatsächlich ein anstaltsinterner Lockdown notwendig. Dabei waren die Arbeitsbetriebe fast gänzlich geschlossen, die Unterkunftsbereiche beim Aufenthalt im Freien getrennt sowie Besuche durch Angehörige und Gruppenveranstaltungen ausgesetzt.

Seit Beginn der Pandemie ist zum Ausgleich die Möglichkeit für Telefonate erheblich ausgeweitet und eine Kontaktmöglichkeit per Videotelefonie eingeführt worden. Der Fernsehempfang ist kostenfrei möglich und in gewissem Umfang gab es Lohnersatz bei coronabedingten Lohnausfällen. Seit mehreren Monaten erhalten die Inhaftierten zudem regelmäßig Impfangebote.

Wie sieht es mit Corona-Erkrankungen bei Mitarbeitern und Insassen aus?

Seit Beginn der Corona-Pandemie haben von den knapp 350 Bediensteten der Anstalt gut 40 Personen eine Corona-Infektion durchgemacht. Bei den Inhaftierten liegt die Zahl weiterhin im untersten zweistelligen Bereich. Es gab keine wirklich schweren oder gar tödlichen Verläufe.

Was wünschen Sie sich, um die Situation für alle bestmöglich lösen zu können?

Mittelfristig wäre es sicherlich nicht nur behandlerisch, sondern auch im Hinblick auf eine pandemische Lage wünschenswert, dass auch die Justizvollzugsanstalt Bernau über eine kleine Einrichtung des sogenannten offenen Vollzuges außerhalb des umzäunten Bereiches verfügen könnte. Eine solche Einrichtung und die damit verbundene Trennung bestimmter Gefangenengruppen würde geeigneten Inhaftierten im wahrsten Sinne des Wortes einen größeren Bewegungsspielraum eröffnen.

Innenminister Joachim Herrmann berichtete in der Vergangenheit von steigender Gewalt und Aggressivität gegenüber Polizeibeamten. Welche Erfahrungen machen Sie in der JVA Bernau?

Im Vollzug ist zwischen der Phase der Untersuchungs- und der Strafhaft zu trennen. Eine wesentliche Rolle spielt auch die Hafterfahrung der jeweiligen Person. Berücksichtigt man diese Gesichtspunkte, ist festzustellen, dass es auch im Justizvollzug negative Veränderungen gibt.

Die uniformierten Bediensteten des Sicherheitsdienstes befassen sich fast ausschließlich mit sicherheitsrelevanten Vorgängen. In einem besonders gesicherten Haftraum werden Personen untergebracht, die selbst- oder fremdgefährlich sind beziehungsweise in ganz erheblicher Weise die Anstaltsordnung stören.

Mit Beginn der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 hat eine deutliche Zunahme stattgefunden. Die jährliche Zahl der Unterbringungsfälle im besonders gesicherten Haftraum hat sich seit 2015 verdoppelt und erreicht fast den dreistelligen Bereich, die Unterbringungszeiten in diesen Räumen wurden deutlich länger. Die Anwendung von unmittelbarem Zwang zur Durchsetzung von Anordnungen hat sich ebenso wie die allgemeine Einsatzzahl des Sicherheitsdienstes sogar mehr als verdoppelt. Diese Entwicklung ab dem Jahr 2015 wurde erst durch die Corona-Krise und deren Auswirkungen auf den Vollzug unterbrochen. Das Niveau ist jedoch immer noch deutlich erhöht. Auch die Fallzahlen der eigentlichen Tätlichkeiten gegen Bedienstete sind von ein oder zwei Fällen pro Jahr vor 2015 zwischenzeitlich auf einen niedrigen zweistelligen Bereich gestiegen. Derartige Tätlichkeiten reichen von Berührungen mit leichten Kratzern oder blauen Flecken bis hin zu schweren Verletzungen von Bediensteten.

Woran liegt diese Entwicklung?

Die Ursachenforschung ist schwierig. Zweifelsohne spielen jedoch die psychische Grunddisposition, die bisherige Erlebniswelt des Täters und die damit verbundene Einstellung gegenüber dem Staat als Autorität eine wesentliche Rolle.

Wie schützen sich die Mitarbeiter dagegen? Wie werden solche Situationen aufgearbeitet?

Justizvollzugsbedienstete erhalten eine anderthalbjährige theoretische und praktische Ausbildung in Kommunikation und Deeskalation. Ebenso eine Rolle spielen die körperliche Verteidigung und die Gestaltung des unmittelbaren Zwangs. Hinzu kommen entsprechende Fortbildungen. Dies ändert jedoch nichts daran, dass sich die Zahl der Inhaftierten, die vereinzelt oder immer wieder gleichsam aus heiterem Himmel widerständig oder gar gewalttätig reagieren, erhöht hat. Der einzelne Bedienstete ist dabei unabhängig von seinen körperlichen Fähigkeiten vor allem auf ein feines Gespür für möglicherweise schwierige Situationen angewiesen. Der Einsatz dieser feinen „Antennen“ ist jedoch in den vergangenen Jahren durch die zunehmende Vielfalt kultureller Hintergründe der Gefangenen erschwert.

Kommt es zu einem Übergriff, so gibt es nach der unmittelbaren Erstversorgung des Betroffenen die Möglichkeit der Begleitung durch Beamte der Krisenintervention. Der Geschehensverlauf wird analysiert, anstaltsintern disziplinarisch gewürdigt und regelmäßig einem Strafverfahren zugeführt. Die Täter werden mit besonderen Sicherungsmaßnahmen belegt und meist in andere Haftanstalten verlegt.

Was würden Sie sich persönlich wünschen, um hier Verbesserungen zu erreichen?

Eine gewisse Verrohung im Zusammenleben der Menschen erlebe ich in den vergangenen Jahren unabhängig vom kulturellen Hintergrund auch in vielen Bereichen des Alltags. Insoweit greift der bei jedem Behördenleiter bestehende Wunsch nach etwas mehr Personal und nach Sachmitteln für strukturelle Veränderungen sicherlich zu kurz. Hilfreich könnte aber sein, den Bereich Strafe, Haft und die Folgen wieder mehr in den Mittelpunkt wissenschaftlichen Interesses zu rücken und nach praxistauglichen Lösungsmöglichkeiten zu suchen. Dabei sollte jedoch die Anwendbarkeit auf Einzelfälle und nicht die Statistik im Vordergrund stehen. Eine Veränderungsnotwendigkeit sehe ich unabhängig von Maßnahmen vor Ort auch in der Art der medialen Darstellung des Justizvollzuges. Dabei würde ich mir einerseits weniger „Sensation“ und „Meinung“ und andererseits mehr Faktentreue beziehungsweise tatsachenbasierte Analysen wünschen.

Vor welchen Herausforderungen steht die JVA Bernau sonst noch?

Die JVA Bernau ist mittlerweile über 100 Jahre alt, der Großteil der Gebäude stammt aus den 60er- und 70er-Jahren. Die Unterkunftsgebäude sind im panoptischen System gebaut, sie haben also keine durchgehenden Geschossdecken. Die Anstalt wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts gezielt im Moorgebiet errichtet, um die Arbeitskraft der Gefangenen bei der Kultivierung von Moorflächen zu nutzen. Baulich-strukturell ergibt sich daraus erheblicher Entwicklungsbedarf, um zumindest bis zu einem gewissen Grad den Standards, die durch moderne, neu errichtete Justizvollzugsanstalten gesetzt werden, noch gerecht werden zu können. Interview: Tanja Weichold

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